der erste Schritt in Richtung Autismustherapie

Viel zu lange habe ich mir nicht eingestehen wollen, dass auch ich eine autismusspezifische Therapie benötige. Warum auch, ich funktioniere doch mittlerweile irgendwie. Und genau das ist der Fehler: sich selbst etwas mit Hilfe des Wortes “Irgendwie” einzureden, ist nichts anderes, als sich selbst und geliebte Menschen zu betrügen. Irgendwie funktionieren heißt: nicht funktionieren, wenn es drauf ankommt.

Zwar habe ich vor meiner Diagnose etliche Psychiater, Neurologen und Psychologen aufgesucht, doch fand hier nur Psychotherapie zum Umgang mit den Symptomen statt. Depressionen, Angst vor sozialen Konfrontationen, die Unfähigkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.. Zwar halfen mir Gesprächstherapie und Medikamente, aus dem schwarzen Loch der Depressionen empor zu klettern eine Ausbildung zu absolvieren und (gemeinsame) Zukunftspläne zu schmieden, doch was bringt all dass, wenn man von der einen Seelenverwandten erfährt, dass der Autismus längst das zerstörte, wofür man sich einredete, jahrelang gekämpft zu haben: Die Beziehung.

Mit Autismus leben, heißt nicht nur, die Symptome zu bekämpfen. Psychotherapie ist sinnvoll und wichtig, doch wozu der ganze Aufwand, wenn die Fassade dahinter weitern dem schreckhaften Küken gleicht und bei der kleinsten Dissonanz in sich zusammenfällt, man dadurch zudem sinnloserweise den einen Menschen belastet, den man am meisten liebt, für den man eigentlich alles geben sollte? Wie kann ein Mensch das auf Dauer ertragen?

Seit dem mir vor etwas mehr als einem Jahr die Diagnose gestellt wurde, habe ich jegliche Aufforderungen in Richtung Autismustherapie ignoriert und im Keim erstickt. Nun habe ich die Konsequenzen zu tragen.

Mein Einsatz wäre die Autismustherapie, und der Wille an meinem Verhalten zu arbeiten, gewesen. Menschen verstehen, wie sie ein nicht-Autist versteht und lernen, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten um in Konfliktsituation mit seinem Geist umgehen zu können. Auf diesen Einsatz verzichtete ich und habe nun die Rechnung erhalten: Ich stehe vor dem Nichts, die letzten 5 1/2 Jahre wie ausgelöscht. Das alles, weil ich zu geizig und zu stolz war, meinen Einsatz zu leisten. You get, what you pay for…

Durch mich ging ein Ruck, den ich Anfangs in übertriebenen Dosen Psychopharmaka ersticken wollte. Doch mehr als ein knapp 48-stündiges Delirium zwischen Tagträumen und Koma, Kopfschmerzen und Schwindel sowie manisch-depressiven Phasen brachte mir dieser herzlose Versuch, meine Gedanken zu ordnen, nicht. Es wäre ja zu schön, sich auf ein Medikament zu verlassen, dass einem die Arbeit abnimmt. Kämpfen heißt nicht, sich passiv den Fakten hinzugeben, sondern aktiv etwas an seiner Situation zu verändern. Mittlerweile bin ich wieder klar bei Sinnen und habe meine Gedanken niedergeschrieben und sortiert.

Auch wenn es nur die Symptome bekämpft, habe ich mich bei allen behandelnden Ärzten gemeldet und Termine gemacht. Psychotherapie, eventuell eine höhere Medikation, das ganze Programm, wie es mich vor Jahren schoneinmal aus dem schwarzen Loch zog. Doch ist der entscheidende Punkt, dass ich mittlerweile gelernt habe, dass die Ursache das wichtigere Problem ist.

Ich habe das getan, wogegen ich mich seit meiner Diagnose vehement wehrte:

Ich bin bei einem Autismus-Therapie-Zentrum vorstellig geworden. Zwar erst telefonisch, doch erhalte ich in der nächsten Woche einen Termin zu einem Erstgespräch.

Es tut mir so unendlich leid, dass ich diesen Schritt so spät erst gehe..

Es tut mir so unendlich leid, dass ich durch mein Verhalten so viel zerstörte..

 

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kennst Du einen Autisten, kennst Du einen..

Der geneigte Außenstehende tendiert in vielen Belangen oftmals zum Pauschalisieren. Besonders bei Situationen, die er nicht mit seinem Weltbild vereinbaren kann, wird zum Schubladendenken gegriffen, um das Erlebte in vorgefertigten Ablagen – mitunter völlig falsch – zu archivieren. Das Thema Autismus ist ein solches Thema, das zwar mittlerweile durch mediale Präsenz eine gewisse oberflächliche Aufmerksamkeit in der breiten Bevölkerung genießt, aber eben nicht akut genug ist, um diese oberflächliche Aufmerksamkeit in ein tiefgründiges Interesse zu wandeln. 

In solchen Fällen kommt leider ein maßgebendes Phänomen hinzu, das aus just diesem oberflächlichen Ankratzen eines komplexen Themas hervorgeht: Halbwissen in Verbindung mit prägnanten Informationen, die irgendwie in den Synapsen hängengeblieben sind. Getreu dem Motto: “viel Meinung, wenig Ahnung”, die Ursuppe der perfekten Pauschalisierung. Ein Fauxpas bei einem hochsensiblen Thema, wie Autismus.

Als Betroffener kann man sich immer wieder mit der Ignoranz und dem Desinteresse vieler Menschen auseinandersetzen. Es fängt an bei Verhaltensweisen, die zwar typisch für einen Asperger sind, jedoch oftmals als arrogantes Gehabe interpretiert werden. Man bittet grundsätzlich nicht um einen Nachteilsausgleich, der eben den Zweck erfüllen soll, Defizite so zu kompensieren, dass man durch seine Behinderung nicht unnötig leiden muss, sondern um die eine Extrawurst, die einem das Recht gibt, sich für etwas Besseres zu halten, um auf den Pöbel hinabzublicken.

Warum sollte man bei der Planung einer Klassenfahrt auch die Frage nach einem Einzelzimmer äußern wollen, wenn ansonsten nur Gruppenzimmer mit einer Handvoll Betten angeboten werden? Warum sollte man die Pausen lieber allein im Auto verbringen, statt mit den Kollegen zu sprechen? Warum sollte man sich bei gemeinsamer Gruppenarbeit zurückziehen und die Aufgabenstellung allein erledigen und dabei den Verweis “Arbeitsverweigerung” in Kauf nehmen? Warum sollte man mehr Zeit für sich brauchen, als andere?

Autismus ist nicht gleich Autismus. Das konservative Bild eines autistischen Menschen ist immer noch der Schwerbehinderte, der weder reden kann, noch über entsprechend kognitive Fähigkeiten verfügt, um sich beispielsweise der alltäglichen Morgentoilette hinzugeben. Im besten Falle kommen noch Spastizitäten und Inkontinenz hinzu und das Klischeebild des Paradeautisten ist komplett. Was hier grob thematisiert wird, würde der Form des sogenannten Frühkindlichen Autismus oder auch Kanner-Autismus entsprechen. Eine Form die in allen Belangen in die Extreme geht – aber selbst dort äußerst facettenreich auftritt. Aber sind es nunmal die Extreme, die sich irgendwie in den Köpfen manifestieren. 9/11 ist omnipräsent, wer denkt da schon noch an den Autounfall mit zwei Toten auf der Autobahn XYZ, vor X Jahren?

Autismus ist tot, es lebe Autismus.

Das konservative Bild des Paradeautisten wurde weitläufig spätestens seit the Big Bang Theory durch die Figur des Sheldon Cooper reformiert, der sich als hochintelligenter, schrulliger Soziopath vielen Klischees des Asperger-Autismus bedient. Wer keinen Bezug zum Thema “Asperger-Autismus” hat, aber was auf sich hält, nimmt sich mittlerweile Sheldon Cooper als den Inbegriff des Musterautisten. Ein Autist, der so gar nicht dem altbackenen Bild dieser “Krankheit” entspricht? Genau! Der moderne Autist von heute agiert konspirativ wie ein Geheimagent. Man sieht ihm seine Behinderung gar nicht an!

Sätze wie “Aber sie wirken doch gar nicht autistisch” kennt sicher jeder Asperger-Autist. Meist kommen sie von eben jenen, die ihr Klischeebild des Paradeautisten vom schwerbehinderten Pflegefall zum hyperintelligenten Einsteinverschnitt oder gar Rainman 2.0 upgradeten, aber letzendlich nicht den blassesten Schimmer haben, was sich hinter diesem Thema verbirgt und einem den Autismus gar absprechen wollen, wenn man nicht in dieses Raster passt.

Wozu sich also sein Leben lang als Alien fühlen, jahrelang Psychotherapie über sich ergehen lassen und Monate auf einen Termin zur Autismusdiagnostik warten, wenn die Antwort doch so simpel ist und man eigentlich gar kein Autist sein kann, weil man nicht so wirkt?

Es könnte alles so einfach sein. Ist es aber nicht. Es gibt nicht DEN Musterautisten, dessen Verhalten maßgebend für alle anderen Autisten ist. Ein schlauer Spruch sagt: Kennst Du einen Autisten, kennst Du einen.. und genau das ist der Fakt, der oftmals für Verwirrung unter Außenstehenden sorgt. Sicher ähneln sich viele Autisten in gewissen Mustern, doch sind etliche typische Verhaltensweisen bei jedem Betroffen völlig individuell ausgeprägt, können sogar ganz fehlen.

  • Man guckt dem Gesprächspartner ins Gesicht, oder gar in die Augen? Dann ist man kein Autist!
  • Man bedient sich gern der Zynik und des Sarkasmus? Alles, nur kein Autist!
  • Man hat soziale Kontakte? Dann kann man kein Autist sein!
  • Man hat einen Beruf gelernt? Kann kein Autist sein.
  • Man arbeitet – und zwar NICHT in einer WfbM? Definitiv kein Autist.
  • Man ist in einer langjährigen Beziehung? Ach hör auf..

Ebenso einfach ist es, offensichliche Indizien zu ignorieren, und diese der betreffenden Person als charakterschwäche anzuheften, ohne auch nur den Hauch von Interesse zu zeigen, das Verhalten zu hinterfragen.

  • Man meidet Teamarbeit oder geht in dieser unter? Kein Autist, aber ein unfähiger Depp.
  • Man ist ruhig und introvertiert? Kein Autist, aber ein Psychopath.
  • Man geht nicht offensiv auf Menschen zu? Ein passiver Langweiler!
  • Man bittet um einen Nachteilsausgleich? Nur ein arroganter Typ, der sich für was besseres Hält, aber kein Autist!
  • Man meidet Gruppen und ist lieber allein? Träumer..
  • Man wippt oder hat sonstige Marotten? Musst Du pinkeln? Bist du nervös?
  • Man stottert bei Vorträgen? Zu wenig Übung, mehr nicht!
  • Man ist in Gedanken versunken und reagiert deshalb nicht auf Ansprachen? Unfreundlicher Typ!
  • Man erkennt Leute nicht auf dem ersten Blick? Dito.

(Asperger-)Autismus wird nicht umsonst die unsichtbare Behinderung genannt. Man sieht es dem Betroffenen einfach nicht an und schließt daraus, dass dieser deswegen nicht leiden könne und sich nicht so anstellen solle. Viele Betroffene, vor allem spätdiagnostizierte Asperger haben im Laufe ihres bisherigen Lebens Strategien entwickelt, um sich – zumindest nach außen – anzupassen. Teils bewusst, teils unbewusst. Diese Strategien kommen einer erlernten Fremdsprache nahe, die man zwar mehr oder weniger fließend beherrscht, aber eben nicht mit der Perfektion eines Muttersprachlers. Irgendwann kommt man auch als angepasster Asperger-Autist an seine Grenzen und die so mühsam aufgebaute Fassade bricht in sich zusammen.

Diese Grenzen sind jedoch meist nicht durch den Autismus gesteckt, sondern durch das falsche Bild, das in der Gesellschaft herrscht. Etwas mehr Weitsichtigkeit in Bezug auf Menschen, die nicht der Norm entsprechen, würde der Gesellschaft gut tun. Durch falschen Umgang mit Autisten werden diese erst behindert und eingeschränkt. Würde beispielsweise ein Arbeitgeber von sich aus auf die Bedürfnisse seines autistischen Angestellten eingehen, bräuchte dieser keinen Schwerbehindertenausweis, um Nachteilsausgleiche einzufordern, gar einzuklagen.

Autist sein heißt, sich ständig rechtfertigen zu müssen und dennoch missverstanden zu werden.

q.e.d.

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aspienaut.de – Leben mit dem Asperger-Syndrom.

Als ich die Domain aspienaut.de im Januar 2017 registrierte, hatte ich eigentlich vor, zeitnah über meine Aspergerdiagnose zu schreiben. Damals befand ich mich jedoch im Endspurt meiner Ausbildung und hatte keinen Platz für einen weiteren Blog – auch wenn mich zu dieser Zeit sehr viele Themen berührten, die in direktem Kontext mit meinem Autismus standen.

Mittlerweile ist knapp ein dreiviertel Jahr vergangen und ich komme endlich dazu, das Thema Asperger-Syndrom in Worte zu fassen und die ersten Beiträge zu veröffentlichen. Im Zuge dessen habe ich mir auch die WordPress-Seite genauer angeschaut und diese soweit startklar gemacht und aktualisiert.

Nachdem ich 2016, mit 31 Jahren, meine Asperger-Diagnose gestellt bekam, fiel mir eine unbeschreibliche Last von den Schultern. Endlich hatte ich die Gewissheit für eine Vermutung, die sich bereits seit zehn Jahren wie ein roter Faden durch mein Leben zog.

Ich war immer schon anders, aber nicht anders genug, um tatsächlich auch nach außen auffällig anders zu sein. Als Kindergartenkind verschlang ich Lexika, interessierte mich bereits für Pflanzen und die Natur. Fasste gerne Dinge an, weil mich ihre Oberflächenstruktur faszinierte. Die Kindheit und Jugend verlief unauffällig. Ich galt schon immer als ruhig, introvertiert und intelligent.

Doch folgte irgendwann der Schulwechsel von der Realschule in die Oberstufe, der mein Leben nachhaltig veränderte. In der Oberstufe fasste ich während der drei Jahre nie wirklich Fuß und fiel mit 19 Jahren schließlich in ein schwarzes Loch. Mein Schutzschild, den ich mir seit Kindesalter unbewusst aufgebaut hatte, war den neuen Situationen nicht mehr gewachsen und fiel völlig in sich zusammen. Depressionen. Es folgte eine fast zehnjährige Phase mit nahezu völliger Gesellschaftlicher Isolation und selbstauferlegter Ausgrenzung, aus der ich es nur schwer herausschaffte.

Mit der Diagnose hatte ich endlich eine handfeste Erklärung für mein Verhalten, die nicht mehr ignoriert werden konnte.

Mittlerweile bin ich in einer langjährigen Beziehung, habe mein Hobby zum Beruf gemacht und die Ausbildung im Juli 2017 als Jahrgangsbester abgeschlossen. Ich stehe gesellschaftlich mitten im Leben und arbeite an meiner privaten, wie auch beruflichen Selbstverwirklichung.

Im Schreiben und Bloggen fand ich in den letzten Jahren einen Begleiter, der mir bereits in vielerlei Hinsicht half. Mit dieser Seite möchte ich Aufklären über ein Thema, das zwar mittlerweile eine gewisse Präsenz in den Köpfen vieler Menschen genießt, jedoch oftmals gar nicht wahrgenommen, im schlimmsten Falle gar falsch interpretiert wird.

Vielfach wird man als Asperger-Autist abgestempelt und in völlig falsche Raster einsortiert, ohne dass den Menschen das „Warum“ hinter all dem bekannt ist. Das Verhalten von Asperger-Autisten ist im sozialen Bereich anders und stößt oftmals auf Verständnislosigkeit. Nicht umsonst spricht man beim Asperger-Autistmus von einer unsichtbaren Behinderung.

Leider ist es für viele Menschen einfacher, Betroffene als arrogant und unfähig abzustempeln, statt den Grund ihrer Verhaltensweise in einer seelischen Behinderung zu sehen.

Man sieht Betroffenen ihren Autismus nicht an.

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