Warum es falsch ist, die Probleme eines Autisten zu banalisieren

Ich lege mich mit diesen Worten nun bewusst weit aus dem Fenster und behaupte pauschal, dass JEDER Autist bereits Sätze von Nichtautisten hörte, die seine Probleme relativieren, gar banalisieren sollen: “Stell dich nicht so an, andere schaffen das auch.”, “Ich habe auch Probleme und bekomme das hin“, “Du brauchst endlich mal einen Tritt in den Hintern um dein Leben in geordnete Bahnen zu lenken!“, “Du musst auch mal über den Tellerrand blicken und offen für Neues sein, sonst wird sich in deinem Leben nie etwas ändern!“.

Solche Sätze sollen vielleicht aufmunternd, erheiternd, motivierend wirken, zeugen aber letztendlich nur von eingeschränkter Sichtweise und mangelndem Verständnis, gar einer Art von Ignoranz gegenüber der Problematiken eines Autisten. Es ist verletzend, herablassend und in Teilen durchaus übergriffig und respektlos, sich von Nichtbetroffenen anhören zu müssen, wie einfach Dinge sein können – oder mehr: wie einfach Dinge in ihrem Leben sind.

Leider hat Autismus ein allgemeines Imageproblem, ähnlich dem von psychischen Erkrankungen, wie Depressionen. Zwar haftet Autismus mittlerweile – der Populärkultur sei “Dank” – etwas “Verwegenes” und scheinbar “Cooles” an, wenn man die offensichtlich autistischen Figuren in populären Serien betrachtet, doch entspricht der Alltagsautist leider nicht immer irgendwelchen Seriencharakteren, sondern leidet häufig unter seinem Anderssein, als dass er tatsächlich daraus Kraft und Vorteile schöpfen kann.

Wie bei allen nichtsichtbaren Krankheiten und Behinderungen gilt für Außenstehende so häufig: Was man nicht sieht, ist nicht existent. Der Wille, sich damit auseinanderzusetzen ist verständlicherweise auch gering, wenn man keinerlei Berührungspunkte zur Thematik hat. Daher besteht kaum eine Chance, etwas am eingerosteten Denken zu ändern, wenn das Bild und die daraus resultierende Meinung in den Köpfen bereits manifestiert ist.

Verlassen wir den Kontext Autismus und fokussieren unseren Blick viel mehr auf den Aspekt der Behinderung.

Ein kleines Gedankenspiel gefällig? Prima! Dann verinnerliche Dir den Folgenden Satz und versuche, zu verstehen, was ein solcher Satz beim Betroffenen bewirken mag, wie er ankommt, wie er den Sprecher beim Betroffenen darstellt:

Querschnittslähmung ist keine Ausrede, dich davor zu drücken die Treppe hochzukrabbeln und auch keine Ausrede immer faul im Rollstuhl herumzulungern.

Jetzt mal Hand aufs Herz: Würdest Du einen solchen Satz zu einem Querschnittsgelähmten sagen, der hilfesuchend in seinem Rollstuhl vor einer Treppe steht und an der Situation verzweifelt, weil es keinen barrierefreien Weg gibt?

Nein?

Warum? Weil es unverschämt, erniedrigend und unhöflich ist, einem Querschnittsgelähmten aufgrund seiner Behinderung zu benachteiligen und ihm Fähigkeiten zu unterstellen, zu denen er aufgrund seiner Einschränkungen gar nicht fähig ist – du als Nichtbehinderter, jedoch schon – richtig?

Wenn Du dieser Antwort zustimmst, dann gehe kurz in Dich und stelle Dir folgende Frage: Warum ist es Okay, einem Autisten zu sagen, dass er sich nicht so anstellen soll und über seinen Schatten springen muss, wenn er in seinem Leben an scheinbar leichten Dingen verzweifelt, die Du als Nichtautist jedoch einfach meistern kannst?

Warum ist die Hemmschwelle häufig so viel niedriger, solche Sätze einem Autisten aufzutischen? Weil man die Behinderung nicht sieht? Weil laut populärer Logik ein Mensch nicht behindert sein kann, wenn er einen funktionierenden Körper mit intakten Gliedmaßen besitzt und von außen nicht behindert aussieht und zudem auch noch intelligent (häufig sogar intelligenter, als der Durchschnitt) ist? Leider entspricht genau dieses Denken der Sichtweise, die in den Köpfen vieler selbst heute noch vertreten ist und eigentlich schon seit zig Jahren obsolet sein sollte.

Ein kleiner Gedankenanstoß: Schwerbehindertenausweise gewinnt man nicht im Lotto, findet sie auch nicht im Supermarkt. Die Hürden, einen solchen Ausweis zu erlangen, sind extrem hoch. Dem voraus geht meist jahrelange Therapie und gründliche Diagnostik, dazu das Bewilligungsverfahren, das ein Paradebeispiel Deutscher Bürokratie ist und einem nichts, aber auch gar nichts schenkt.

Dass ein Autist einen Schwerbehindertenausweis ausgestellt bekommt, heißt, dass dieser Mensch unüberwindbare Hürden im Alltag erlebt, die ihn auf einer massiven Art und Weise einschränken, sein Leben so zu leben, wie es nichtbehinderte Menschen machen können. Ob sichtbare oder unsichtbare Behinderung: Behinderung ist Behinderung. Da gibt es keinerlei Unterschiede. Betroffene sind auf ihrer Art und Weise eingeschränkt und werden im leben behindert. Ja, man ist nicht behindert, man wird behindert – und zwar durch altbackene Ansichten, verquere Ignoranz und Hürden, die einfach nicht sein müssten.

Deshalb sei froh, dass Du dein Leben ohne Schwerbehindertenausweis meistern kannst, dass Du nicht an den profansten, alltäglichen Situationen scheiterst und dass man Dir keine Steine in den Weg legt, die dich daran hindern, auch nur ansatzweise ein normales Leben zu führen, wie du es kennst.

Möglicherweise hat man dir diesen Link geschickt, weil Du überdenken solltest, wie Du mit deinen autistischen Mitmenschen umgehst. Wahrscheinlich war es nicht einmal böse Absicht von Dir, sondern tatsächlich nur ein gut gemeinter Rat. Doch war dieser Rat absolut unangebracht und kontraproduktiv. Wenn du einem Autisten helfen möchtest, vermeide oben genanntes Verhalten und halte Dir vor Augen: Du wirst als Nichtbetroffener die Probleme eines Autisten niemals verstehen, wenn du es nicht willst. Liegt Dir was an der betroffenen Person, befasse dich bitte mit der Thematik andernfalls kann es vorkommen, dass man sich von Dir distanziert.

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