Ein Tag, wie er schlimmer nicht hätte sein können.

Da mir durch die Trennung nun auch die Vertrauensperson fehlt, der ich sämtliche Gefühle und Erlebnisse anvertrauen konnte, versuche ich nun, diese für mich hier niederzuschreiben. Auch wenn das “für mich” nun suggeriert, ich suhlte mich hier in einer Anonymität, ist mir doch durchaus bewusst, dass diese Seite im Internet verfügbar ist. Jedoch bin ich bereit, meine autistischen Erfahrungen zu teilen. Denn genau dies war der Grundgedanke dieser Seite. “Für mich” bedeutet in dem Kontext viel mehr, dass ich für mich einen Nutzen aus dem Niederschreiben meiner Gedanken ziehen kann. Ich erhalte zwar keine Antwort eines Gegenübers, doch kann ich beim Schreiben Situationen reflektieren, diese für mich überdenken und womöglich ein Fazit ziehen, das mir hilft, besser mit Situationen umzugehen.

Der heutige Tag war geprägt von solchen Situationen, die mich wieder einmal fest in ihren Händen hielten. Schon am Vormittag war ich wieder so fertig und müde von all den Menschen, die in der Schule um mich herum agierten, dass ich bereits um 11 Uhr während des Unterrichts einschlief. Auch wenn die letzte Opipramol zu dem Zeitpunkt bereits 16 Stunden zurück lag und ihre volle Wirkung während der Nacht entfaltete, fühlte ich mich, als setzte die Wirkung just in diesem Augenblick ein. Die Lider schwer wie Blei, die Gedanken abseits der Spur in einem Nebel aus Geräuschen und Gerüchen, vegetierte ich in den Vormittag hinein, eh ich mich zwei Stunden vor Schulschluss austragen ließ und ging.

Ich ging jedoch nicht, weil ich nicht mehr konnte, sondern vielmehr, weil heute ein wichtiger Termin anstand: Das Erstgespräch der Autismustherapie. Da ich dort keineswegs zu spät kommen wollte, hielt ich es für nötig, die Schule eher zu verlassen. Ein gut durchdachter Plan meinerseits.

Ich fuhr schnell nach Hause, zog mich um und setzte mich direkt wieder ins Auto, Richtung Therapiezentrum. Die Fahrt war geprägt von Abwesenheit und ich zermaterte mir den Kopf mit Gedanken, die sich nicht ausblenden ließen. Ich verpasste die Ausfahrt der Autobahn, geriet in einen Stau.. schaffte es jedoch noch rechtzeitig zur besagten Adresse. Dort angekommen, jedoch das Debakel schlechthin: weit und breit keine Parkmöglichkeiten. Zudem war die Hauptstraße, an der die Einrichtung lag, so stark befahren, so dass ich nicht langsam nach etwaigen Parkmöglichkeiten auf dem Gelände ausschau halten konnte. Ziellos fuhr ich weiter, den Schweiß auf der Stirn stehen, die Gedanken im Gehirn hämmernd. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte.

Nur noch zehn Minuten bis zum Termin. Ich fuhr mehrfach um den Block. Kein Parkplatz.

In meiner Verzweiflung wollte ich schon unverrichteter Dinge den Heimweg antreten und mich hinterher telefonisch über die Parkplatzsituation beschweren, bis vor mir jemand aus der Parklücke einer Seitenstraße fuhr. Mittlerweile hatte ich zehn Minuten Verspätung.

Ich hastete ins Gebäude, zitternd und stotternd klingelte ich und wurde erstaunt empfangen..

Man hätte mich am heutigen Morgen schon versucht zu erreichen und sprach mir auf den Anrufbeantworter, dass die besagte Therapeutin heute nicht komme, da sie krank sei.

Ernsthaft?

Ich habe eher Feierabend gemacht, bin wie ein Irrer auf der Parkplatzsuche gewesen, hätte dabei am liebsten mein Auto vor lauter Wut zerlegt, um festzustellen, dass der Tag eigentlich ganz anders hätte verlaufen können?

Ich fuhr zurück.

Auf dem Rückweg fuhr ich bei der Poststation vorbei um ein Paket abzuholen, das mit einem Abholschein am Samstag angekündigt wurde. Nach schier endlosen Minuten des Wartens die Erkenntnis: Wir haben ihr Paket gar nicht, aber wir telefonieren mal ‘rum!

Ich hätte innerlich platzen können, hätte am Liebsten den Kopf gegen die Wand geschlagen. Es war scheußlich!

Letztendlich wurde ich auf eine weitere Poststation in einem anderen Stadtteil verwiesen, die der Paketzusteller komischerweise aufsuchte.. Warum diese Poststation, obwohl sie gar nicht in meinem Zustellungsbereich lag?

Zuhause angekommen, legte ich mich hin und verschlief den Rest des Tages, bis ich nun um 22 Uhr diesen Text schrieb.

ps.

Wenn nun jemand neugierig ist, was in dem Paket war: Click.

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Reflexion einer Misere

Mittlerweile liegt die Trennung drei Wochen zurück und ich schaffe es wieder, so langsam klare Gedanken zu fassen und die ganze Situation zu reflektieren.

Wie kann man einen Menschen, den man sechs Jahre kannte und fünfeinhalb Jahre an seiner Seite hatte, von jetzt auf gleich abschieben? Ihm alle Ablehnung entgegenbringen, die man sich nur vorstellen kann? Ich möchte gar nicht wissen, welch Abneigung sich nun angestaut hat, damit eine derartige Entscheidung so leicht ausgesprochen werden kann.

Ich bin kein Opfer der Trennung, ich bin der Grund.

Harter Tobak, wenn man versucht, es ständig allen Recht zu machen, aber dennoch irgendwie nicht das erreicht, was das Gegenüber sich vorstellt. Mittlerweile bin ich jedoch an einem Punkt angelangt, an dem ich die Trennung als eben solche sehe und auch für mich den finalen Schlussstrich gezogen habe. Das Vertrauen ist hinüber, die Hoffnung weg. Wie lange wurde ich belogen? Wie lange wurde ich schon nicht mehr geliebt?

Wozu etwas hinterhertrauen, was nicht mehr ist.

Retrospektiv betrachtet, fallen mir auch mittlerweile immer mehr Punkte auf, die in einer gesunden Beziehung einfach nie hätten sein dürfen. Wenn jemand starr und fest behauptet, eine Mutterrolle eingenommen zu haben, nur weil die Liebe, die man für diese Person empfand, einen dazu brachte, sein Leben komplett zu ändern, ist das nicht nur ein Unding, sondern Arrogant und Egozentrisch und verletzend, dem gegenüber, der durch die Liebe den Anlauf fand, sich zu entwickeln. Statt Anerkennung folgte nur noch Ablehnung. Von der Mutterrolle oder auch die Rolle des Therapeuten wurde gesprochen, ich als Marionette bezeichnet, die nur in Abhängigkeit von dieser Person existieren könne.

In den letzten beiden Jahren habe ich es erduldet, mich beschimpfen zu lassen, mit den Launen einer unberechenbaren Furie klarzukommen, die für jeden Fehltritt meinerseits – sei er auch noch so klein – ein Fass öffnete und mich als Idiot darstellte. Habe ich nicht rechtzeitig heruntergeschaltet, zu stark gebremst, zu langsam aufgeräumt, zu viele Fakten erzählt – oder auch einfach nur gegrübelt – war ich der Idiot, der nichts auf die Reihe bekommt und mal wieder in seiner eigenen Welt lebt.

Im letzten Jahr der Beziehung kamen körperliche Übergriffe hinzu, die man eher in das erste Kindergartenjahr einsortiert hätte, statt in die Beziehung zweier erwachsener Menschen; Kneifen und Beißen. Ersteres in Verbindung mit einem grenzdebilen, grotesken “ich muss mich rächen, du machst mein Leben kaputt”, unterlegt mit einem clownartigen Gelächter. Spätestens, als mein Körper von vielen blauen Flecken vom ständigen Kneifen übersät war, hätte ich zuerst die Reißleine ziehen müssen und merken sollen, dass dieses Verhalten eben keine Form der Liebkosung, sondern eine abgrundtiefe Verachtung darstellte.

Ich hatte schon lange den Wunsch, die Ketten zu sprengen, doch konnte ich mir das nicht eingestehen. Die Angst vor der Trauer, der Einsamkeit, dem Neuanfang und dem Kennenlernen fremder Menschen ließ mich jedoch immer erdulden, was mich innerlich zerstörte. Klar, die Liebe war da. Unbestritten konnte ich dies auch mit meinem Gewissen vereinbaren, dass ich diese Person als Seelenverwandte absolut und uneingeschränkt liebte und ich über viele Missständer duldend hinwegblickte. Auch wenn ich das als Autist sicher nicht so darstellen konnte, wie es ein Nicht-Autist sich wünscht.

Wenn ich eines nun gelernt habe: Liebe ist mehr als einen Menschen in sein Leben zu lassen, ihn als Seelenverwandten zu akzeptieren und mit ihm die kleinste, noch so banale Erfahrung zu teilen, ihn mit Nettigkeiten überhäufen, die man sonst nur für sich selbst aufwenden würde, sich diesem Menschen zu 100% hingeben und ausschließlich auf diese Person zu konzentrieren und alles andere auszublenden. Liebe bedeutet aber auch nicht, jede Form der Erniedrigung zu akzeptieren, nur um dem Gegenüber nicht vor den Kopf zu stoßen. Jedoch erweckt eben dieses Verhalten das Bild einer unselbstständigen Marionette, eines Waschlappen, den man beschimpfen kann.

Ich bin frei.

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der erste Schritt in Richtung Autismustherapie

Viel zu lange habe ich mir nicht eingestehen wollen, dass auch ich eine autismusspezifische Therapie benötige. Warum auch, ich funktioniere doch mittlerweile irgendwie. Und genau das ist der Fehler: sich selbst etwas mit Hilfe des Wortes “Irgendwie” einzureden, ist nichts anderes, als sich selbst und geliebte Menschen zu betrügen. Irgendwie funktionieren heißt: nicht funktionieren, wenn es drauf ankommt.

Zwar habe ich vor meiner Diagnose etliche Psychiater, Neurologen und Psychologen aufgesucht, doch fand hier nur Psychotherapie zum Umgang mit den Symptomen statt. Depressionen, Angst vor sozialen Konfrontationen, die Unfähigkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.. Zwar halfen mir Gesprächstherapie und Medikamente, aus dem schwarzen Loch der Depressionen empor zu klettern eine Ausbildung zu absolvieren und (gemeinsame) Zukunftspläne zu schmieden, doch was bringt all dass, wenn man von der einen Seelenverwandten erfährt, dass der Autismus längst das zerstörte, wofür man sich einredete, jahrelang gekämpft zu haben: Die Beziehung.

Mit Autismus leben, heißt nicht nur, die Symptome zu bekämpfen. Psychotherapie ist sinnvoll und wichtig, doch wozu der ganze Aufwand, wenn die Fassade dahinter weitern dem schreckhaften Küken gleicht und bei der kleinsten Dissonanz in sich zusammenfällt, man dadurch zudem sinnloserweise den einen Menschen belastet, den man am meisten liebt, für den man eigentlich alles geben sollte? Wie kann ein Mensch das auf Dauer ertragen?

Seit dem mir vor etwas mehr als einem Jahr die Diagnose gestellt wurde, habe ich jegliche Aufforderungen in Richtung Autismustherapie ignoriert und im Keim erstickt. Nun habe ich die Konsequenzen zu tragen.

Mein Einsatz wäre die Autismustherapie, und der Wille an meinem Verhalten zu arbeiten, gewesen. Menschen verstehen, wie sie ein nicht-Autist versteht und lernen, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten um in Konfliktsituation mit seinem Geist umgehen zu können. Auf diesen Einsatz verzichtete ich und habe nun die Rechnung erhalten: Ich stehe vor dem Nichts, die letzten 5 1/2 Jahre wie ausgelöscht. Das alles, weil ich zu geizig und zu stolz war, meinen Einsatz zu leisten. You get, what you pay for…

Durch mich ging ein Ruck, den ich Anfangs in übertriebenen Dosen Psychopharmaka ersticken wollte. Doch mehr als ein knapp 48-stündiges Delirium zwischen Tagträumen und Koma, Kopfschmerzen und Schwindel sowie manisch-depressiven Phasen brachte mir dieser herzlose Versuch, meine Gedanken zu ordnen, nicht. Es wäre ja zu schön, sich auf ein Medikament zu verlassen, dass einem die Arbeit abnimmt. Kämpfen heißt nicht, sich passiv den Fakten hinzugeben, sondern aktiv etwas an seiner Situation zu verändern. Mittlerweile bin ich wieder klar bei Sinnen und habe meine Gedanken niedergeschrieben und sortiert.

Auch wenn es nur die Symptome bekämpft, habe ich mich bei allen behandelnden Ärzten gemeldet und Termine gemacht. Psychotherapie, eventuell eine höhere Medikation, das ganze Programm, wie es mich vor Jahren schoneinmal aus dem schwarzen Loch zog. Doch ist der entscheidende Punkt, dass ich mittlerweile gelernt habe, dass die Ursache das wichtigere Problem ist.

Ich habe das getan, wogegen ich mich seit meiner Diagnose vehement wehrte:

Ich bin bei einem Autismus-Therapie-Zentrum vorstellig geworden. Zwar erst telefonisch, doch erhalte ich in der nächsten Woche einen Termin zu einem Erstgespräch.

Es tut mir so unendlich leid, dass ich diesen Schritt so spät erst gehe..

Es tut mir so unendlich leid, dass ich durch mein Verhalten so viel zerstörte..

 

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back in business

Mit dieser Seite gehe ich bewusst einen schmalen Grat. Einerseits ist es eine Methode zur Selbsthilfe, um intime Situationen bewusst zu reflektieren, andererseits ist es der Versuch, Aufklärung zu schaffen. Diese Seite ist im Netz öffentlich erreichbar, jedoch ist sie in einem Meer von Webseiten nur ein einziges Wassermolekül, die Nadel im Heuhaufen, und dadurch im weitesten Sinne geschützt durch die Anonymität der Masse.

In dieser schleierhaften Sicherheit wiegend, ist es mir auch bewusst, dass die Inhalte dennoch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Hätte ich ein Problem mit dieser Tatsache, wäre eine Webseite sicherlich der falscheste Weg, den man zur Selbsthilfe gehen kann. Letztendlich lodert auch immer noch der Funke der Aufklärung im Hinterkopf.

Doch sah ich mich gezwungen, die Inhalte dieser Webseite in den letzten Tagen vorerst vom Netz zu nehmen und den Zugriff auf diese zu verwehren. Der Grund dazu war eine vollkommen individuelle Überreaktion meiner selbst, die für Außenstehende sicherlich nicht völlig nachvollziehbar war und gar mit Enttäuschung erwidert wurde.

Nach langem Nachdenken habe ich mich nun entschlossen, die Seite wieder völlig zu öffnen. Ich stehe zu meinen Gedanken und muss mich nicht verstellen oder gar für diese Schämen.

Sicherlich werde ich diese Situation irgendwann einmal in einem Text verarbeiten, dazu ist es jedoch noch zu früh und ich möchte niemandem vor den Kopf stoßen.

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seit einem Jahr diagnostiziert: Was mir die Diagnose brachte.

Vor ziemlich genau einem Jahr erhielt ich meine Diagnose: F84.5, Asperger-Syndrom. Ein Scheitelpunkt meines Lebens, von dem für mich sogar etwas Revolutionäres ausging. Es war der metaphorische Mittelfinger gen alle, die mich bis dato aufgrund meiner Eigenarten und psychischen Probleme stigmatisierten, verurteilten, abstempelten und links liegen ließen.

Die Diagnose kam für mich nicht unerwartet. Ganz im Gegenteil: Sie war wie ein alter Freund, den man schon lang erwartete, für den man die Wohnung herrichtete und den besten Whisky bereitstellte, den die Hausbar hergab.

Den Grund der eigenen Umstände endlich in gedruckter, hochoffizieller Form vor sich zu halten und dadurch die Bestätigung jahrelanger Theorien zu erfahren, war der sprichwörtliche Befreiungsschlag für meine Psyche.

Anders als bei Kindern, bei denen die Diagnose mitunter Grundlagen für die Entwicklung bereitstellt, geschieht der Gang zur Diagnostik im Erwachsenenalter meist aus eigenem Interesse. Um etwas bestätigt zu wissen, was schon lang klar ist, um mit sich selbst im Reinen zu sein, um Zusammenhänge zu verstehen. Aber auch, weil sie in der Diagnose einen letzten Ausweg sehen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Viele – ich nenne sie einfach mal- funktionierende Autisten, die den Schritt erst im Erwachsenenalter gehen, sind angepasst und in ihrem Verhalten. Sie tragen tagtäglich eine Maske, die ihr eigenes Ich nach außen durch geschickte Schauspielerei kaschiert. Wer sich jedoch ständig verstecken muss, leidet. So ist es nicht selten, dass der Leidensdruck durch diese ständige Maskerade zu groß wird und das mühsam aufgebaute Gerüst irgendwann in sich zusammenfällt. Mit der Diagnose schafft man nicht nur Klarheit für sich selbst, sondern eine Grundlage für mögliche Therapien und gezielte Ansätze um sich selbst wieder auf den richtigen Weg zu lenken und das Leben in den Griff zu bekommen.

Heute weiß ich, dass mich der Autismus schon seit früher Kindheit begleitet. Er war es, der mir die Gummireifen eines Spielzeugautos aus dem Kindergarten in die Hosentaschen steckte, weil sich ihre Gummistruktur so wunderbar anfühlte. Auch war er es, der zornesgeladen eine geschenkte Schnittrose zerpflückte, weil an ihrem Stengel keine Blätter mehr waren. Vielleicht war er es auch, der sich nicht traute, andere Kinder anzusprechen, als es im letzten Kindergartenjahr mit einer Ferienfreizeitgruppe zu diversen Ausflugszielen ging.

Jedoch lernte ich die Macht, die er auf mich ausübte erst viel später kennen. Es sollte jedoch noch Jahre dauern, bis ich in Worte fassen konnte und mir bewusst wurde wer oder was diese Macht eigentlich war.

Seit dem Wechsel von der Realschule in die Oberstufe, vor rund 15 Jahren, bekam ich diese Macht zum ersten Mal bewusst zu spüren. Die drei Jahre im neuen Umfeld waren eine nicht enden wollende Qual, die letztendlich für mich zu keinem Ziel führte und den Anfang des (vorläufigen) gesellschaftlichen Endes manifestierten. In den folgenden Jahren dachte ich immer intensiver über das “Anderssein” nach und geriet in eine Abwärtsspirale, die mich in jahrelange Depressionen versetzte und jeglichen Antrieb nahm. Fast die kompletten Zwanziger verbrachte ich nur mit wenigen sozialen Kontakten, eingeigelt in meinem sicheren Dachstuhl. Umgeben von Dingen, die meinen Spezialinteressen entsprachen: Computer, Pflanzen und Bücher.

Erst als ich mit 26 meine jetzige Freundin kennenlernte, begann ich mich wieder für meine eigene Zukunft zu interessieren. Sie trat mir sprichwörtlich immer wieder in den Allerwertesten und zwang mich zu dieser Auseinandersetzung mit mir selbst und das Leugnen meiner Umstände abzulegen.

Jedoch sollten noch zwei weitere Jahre vergehen, eh ich bereit dazu war, meiner Psyche auf den Grund zu gehen. Das Thema Asperger-Syndrom war damals für mich schon eine Vermutung, die sich durch Artikel, Reportagen und Selbsttests stützte. Das Wort selbst sprach ich allerdings nie aus. Unter dem Vorwand der Depressionen und der Sozialen Phobie begab ich mich in Therapie, um zumindest den ersten Schritt in Richtung Selbstfindung zu gehen. Gern hätte ich mir gewünscht, dass all die Ärzte, mit denen ich in den Jahren Kontakt hatte, von allein auf dieses – doch recht – Offensichtliche stießen.

Auch wenn die Therapie nicht primär am Autismus ansetzte, merkte ich doch einen psychischen Aufwind, der mich soweit festigte, dass ich a) immer noch mit meiner Freundin zusammen bin und ich b) endlich den Weg ins Berufsleben schaffte und mein Hobby (und Spezialinteresse) zum Beruf machte. Mit einer 1,0 in der Zwischenprüfung war es mir möglich, die Ausbildung zum Zierpflanzengärtner um ein komplettes Jahr zu verkürzen und beendete diese im Juli 2017, mit 31 Jahren, als Jahrgangsbester.

Asperger-Diagnose als letzter Ausweg

Doch eh es dazu kam, übermannte mich – trotz halbwegs stabiler Psyche – letztendlich doch wieder mein Autismus. Durch den Stress auf der Arbeit, bedingt durch ungewisse Arbeits-/Pausenzeiten, endlose Überstunden, sowie mangelnde Struktur im Ausbildungsbetrieb, erreichte ich bereits im ersten Lehrjahr abermals einen emotionalen Tiefpunkt, wie ich ihn seit Jahren nicht mehr erlebte. Die Psychotherapie half mir zwar in den Jahren zuvor, jedoch wurde mir letztendlich zu viel um den heißen Brei geredet. Mit der Hilfe meiner Freundin fasste ich schlussendlich den Entschluss, den Autismus endlich beim Namen zu nennen und machte einen Termin zur Diagnostik.

Noch im selben Jahr, gen Herbst 2016, begann für mich der Schritt in die Autismusambulanz an der LWL-Klinik in Dortmund. Es folgten dutzende Testbögen mit hunderten Fragen, Tests zum Sprachverständnis, Reaktionstests und letztendlich ein langes, tiefgründiges Gespräch, an dessen Ende die Diagnose stand: Asperger-Syndrom.

Mit diesen Worten, fühlte ich mich wie ein verpuppter Schmetterling, der seine hässliche, graue Puppe endlich verlassen und sich entfalten konnte. Das neue Leben feierte ich mit einer Pizza, die ich noch vor der Klinik im Auto aß und fuhr gen Heimat.

Wenige Tage später erreichte mich das schriftliche Gutachten, das die Grundlage jeder weiteren Vorgehensweise sein sollte. Neben einem Gesprächsprotokoll umfasste es sämtliche Testergebnisse, individuelle Empfehlungen für einen stressarmen Umgang und zudem eine Empfehlung für die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises mit einem GdB von mind. 50.

Da der Diagnostik primär Probleme im Ausbildungsbetrieb vorausgingen, legte ich die Unterlagen am nächsten Tag beim Chef vor. Die Hoffnung, dadurch auf Besserung meiner Situation zu stoßen, war jedoch ein Trugschluss. Auch nachdem ich die Diagnose kundtat folgten Vieraugengespräche mit dem sinngemäßen Inhalt, ob ich denn immer aus der Reihe tanzen und anecken wolle. Abgesehen davon, dass das Arbeitsklima für mich nicht besser wurde und der Stress weiterhin stieg, beantragte ich schlussendlich den SBA. Für mich der absolut letzte Weg, um mein Ziel dennoch zu erreichen, um nicht zu scheitern. Zwar legte ich währenddessen eine 1,0 in der Zwischenprüfung ab und die schulischen Leistungen lagen auch im guten Einserbereich, doch zermaterte mich die Situation im Betrieb immer mehr.

Letztendlich erhielt ich den SBA nach wenigen Wochen und staunte über einen zugewiesenen GdB von 60. Zwar hatte ich lange Bedenken über mögliche Stigmatisierungen durch diesen Ausweis, jedoch hätte ich ohne diesen Weg meine Ausbildung trotz überragender Noten sicher kurz vorm Ziel abbrechen müssen. Der Fakt, dass man mich wissentlich, trotz bekannter Diagnose ins Messer laufen ließ, ließ mir jedoch absolut keine andere Möglichkeit, als meine Rechte durch den Schwerbehindertenausweis zu untermauern.

Mit einem GdB von 60 hatte ich demnach Anrecht auf geregelte Arbeitszeiten und brauchte keine Überstunden mehr machen. Die dadurch gewonnene Zeit, tat meiner Seele ungemein gut und ich konnte mich entsprechend kurieren. Da zudem die Verkürzung der Ausbildung (aufgrund der 1,0 in der Zwischenprüfung) genehmigt wurde, kam während der Zeit zusätzlicher Input auf mich zu, den ich jedoch – nicht zuletzt auch durch die mittlerweile geregelten Arbeitszeiten – entprechend gut verarbeiten konnte.

Als Jahrgangsbester legte ich die Abschlussprüfung ab – Und das als schwerbehinderter Autist mit einem GdB von 60, der bereits so oft an scheinbar Simplem scheiterte.

War mir nun die Diagnose brachte? Selbsterkenntnis und Sicherheit. Mit ihr und dem SBA habe ich ein Instrument, das meine Defizite annähernd ausgleichen kann, wodurch wieder Chancengleichheit entsteht. Zwar werden solche Nachteilsausgleiche von etlichen Menschen leider immer noch als unnötige Extrawurst gesehen, doch bezieht es sich auf Defizite, die einem Autisten das Genick brechen können. Hätte ich die Diagnose bereits vor 10 Jahren gehabt, wäre mein Leben sicherlich um einiges anders verlaufen.

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kennst Du einen Autisten, kennst Du einen..

Der geneigte Außenstehende tendiert in vielen Belangen oftmals zum Pauschalisieren. Besonders bei Situationen, die er nicht mit seinem Weltbild vereinbaren kann, wird zum Schubladendenken gegriffen, um das Erlebte in vorgefertigten Ablagen – mitunter völlig falsch – zu archivieren. Das Thema Autismus ist ein solches Thema, das zwar mittlerweile durch mediale Präsenz eine gewisse oberflächliche Aufmerksamkeit in der breiten Bevölkerung genießt, aber eben nicht akut genug ist, um diese oberflächliche Aufmerksamkeit in ein tiefgründiges Interesse zu wandeln. 

In solchen Fällen kommt leider ein maßgebendes Phänomen hinzu, das aus just diesem oberflächlichen Ankratzen eines komplexen Themas hervorgeht: Halbwissen in Verbindung mit prägnanten Informationen, die irgendwie in den Synapsen hängengeblieben sind. Getreu dem Motto: “viel Meinung, wenig Ahnung”, die Ursuppe der perfekten Pauschalisierung. Ein Fauxpas bei einem hochsensiblen Thema, wie Autismus.

Als Betroffener kann man sich immer wieder mit der Ignoranz und dem Desinteresse vieler Menschen auseinandersetzen. Es fängt an bei Verhaltensweisen, die zwar typisch für einen Asperger sind, jedoch oftmals als arrogantes Gehabe interpretiert werden. Man bittet grundsätzlich nicht um einen Nachteilsausgleich, der eben den Zweck erfüllen soll, Defizite so zu kompensieren, dass man durch seine Behinderung nicht unnötig leiden muss, sondern um die eine Extrawurst, die einem das Recht gibt, sich für etwas Besseres zu halten, um auf den Pöbel hinabzublicken.

Warum sollte man bei der Planung einer Klassenfahrt auch die Frage nach einem Einzelzimmer äußern wollen, wenn ansonsten nur Gruppenzimmer mit einer Handvoll Betten angeboten werden? Warum sollte man die Pausen lieber allein im Auto verbringen, statt mit den Kollegen zu sprechen? Warum sollte man sich bei gemeinsamer Gruppenarbeit zurückziehen und die Aufgabenstellung allein erledigen und dabei den Verweis “Arbeitsverweigerung” in Kauf nehmen? Warum sollte man mehr Zeit für sich brauchen, als andere?

Autismus ist nicht gleich Autismus. Das konservative Bild eines autistischen Menschen ist immer noch der Schwerbehinderte, der weder reden kann, noch über entsprechend kognitive Fähigkeiten verfügt, um sich beispielsweise der alltäglichen Morgentoilette hinzugeben. Im besten Falle kommen noch Spastizitäten und Inkontinenz hinzu und das Klischeebild des Paradeautisten ist komplett. Was hier grob thematisiert wird, würde der Form des sogenannten Frühkindlichen Autismus oder auch Kanner-Autismus entsprechen. Eine Form die in allen Belangen in die Extreme geht – aber selbst dort äußerst facettenreich auftritt. Aber sind es nunmal die Extreme, die sich irgendwie in den Köpfen manifestieren. 9/11 ist omnipräsent, wer denkt da schon noch an den Autounfall mit zwei Toten auf der Autobahn XYZ, vor X Jahren?

Autismus ist tot, es lebe Autismus.

Das konservative Bild des Paradeautisten wurde weitläufig spätestens seit the Big Bang Theory durch die Figur des Sheldon Cooper reformiert, der sich als hochintelligenter, schrulliger Soziopath vielen Klischees des Asperger-Autismus bedient. Wer keinen Bezug zum Thema “Asperger-Autismus” hat, aber was auf sich hält, nimmt sich mittlerweile Sheldon Cooper als den Inbegriff des Musterautisten. Ein Autist, der so gar nicht dem altbackenen Bild dieser “Krankheit” entspricht? Genau! Der moderne Autist von heute agiert konspirativ wie ein Geheimagent. Man sieht ihm seine Behinderung gar nicht an!

Sätze wie “Aber sie wirken doch gar nicht autistisch” kennt sicher jeder Asperger-Autist. Meist kommen sie von eben jenen, die ihr Klischeebild des Paradeautisten vom schwerbehinderten Pflegefall zum hyperintelligenten Einsteinverschnitt oder gar Rainman 2.0 upgradeten, aber letzendlich nicht den blassesten Schimmer haben, was sich hinter diesem Thema verbirgt und einem den Autismus gar absprechen wollen, wenn man nicht in dieses Raster passt.

Wozu sich also sein Leben lang als Alien fühlen, jahrelang Psychotherapie über sich ergehen lassen und Monate auf einen Termin zur Autismusdiagnostik warten, wenn die Antwort doch so simpel ist und man eigentlich gar kein Autist sein kann, weil man nicht so wirkt?

Es könnte alles so einfach sein. Ist es aber nicht. Es gibt nicht DEN Musterautisten, dessen Verhalten maßgebend für alle anderen Autisten ist. Ein schlauer Spruch sagt: Kennst Du einen Autisten, kennst Du einen.. und genau das ist der Fakt, der oftmals für Verwirrung unter Außenstehenden sorgt. Sicher ähneln sich viele Autisten in gewissen Mustern, doch sind etliche typische Verhaltensweisen bei jedem Betroffen völlig individuell ausgeprägt, können sogar ganz fehlen.

  • Man guckt dem Gesprächspartner ins Gesicht, oder gar in die Augen? Dann ist man kein Autist!
  • Man bedient sich gern der Zynik und des Sarkasmus? Alles, nur kein Autist!
  • Man hat soziale Kontakte? Dann kann man kein Autist sein!
  • Man hat einen Beruf gelernt? Kann kein Autist sein.
  • Man arbeitet – und zwar NICHT in einer WfbM? Definitiv kein Autist.
  • Man ist in einer langjährigen Beziehung? Ach hör auf..

Ebenso einfach ist es, offensichliche Indizien zu ignorieren, und diese der betreffenden Person als charakterschwäche anzuheften, ohne auch nur den Hauch von Interesse zu zeigen, das Verhalten zu hinterfragen.

  • Man meidet Teamarbeit oder geht in dieser unter? Kein Autist, aber ein unfähiger Depp.
  • Man ist ruhig und introvertiert? Kein Autist, aber ein Psychopath.
  • Man geht nicht offensiv auf Menschen zu? Ein passiver Langweiler!
  • Man bittet um einen Nachteilsausgleich? Nur ein arroganter Typ, der sich für was besseres Hält, aber kein Autist!
  • Man meidet Gruppen und ist lieber allein? Träumer..
  • Man wippt oder hat sonstige Marotten? Musst Du pinkeln? Bist du nervös?
  • Man stottert bei Vorträgen? Zu wenig Übung, mehr nicht!
  • Man ist in Gedanken versunken und reagiert deshalb nicht auf Ansprachen? Unfreundlicher Typ!
  • Man erkennt Leute nicht auf dem ersten Blick? Dito.

(Asperger-)Autismus wird nicht umsonst die unsichtbare Behinderung genannt. Man sieht es dem Betroffenen einfach nicht an und schließt daraus, dass dieser deswegen nicht leiden könne und sich nicht so anstellen solle. Viele Betroffene, vor allem spätdiagnostizierte Asperger haben im Laufe ihres bisherigen Lebens Strategien entwickelt, um sich – zumindest nach außen – anzupassen. Teils bewusst, teils unbewusst. Diese Strategien kommen einer erlernten Fremdsprache nahe, die man zwar mehr oder weniger fließend beherrscht, aber eben nicht mit der Perfektion eines Muttersprachlers. Irgendwann kommt man auch als angepasster Asperger-Autist an seine Grenzen und die so mühsam aufgebaute Fassade bricht in sich zusammen.

Diese Grenzen sind jedoch meist nicht durch den Autismus gesteckt, sondern durch das falsche Bild, das in der Gesellschaft herrscht. Etwas mehr Weitsichtigkeit in Bezug auf Menschen, die nicht der Norm entsprechen, würde der Gesellschaft gut tun. Durch falschen Umgang mit Autisten werden diese erst behindert und eingeschränkt. Würde beispielsweise ein Arbeitgeber von sich aus auf die Bedürfnisse seines autistischen Angestellten eingehen, bräuchte dieser keinen Schwerbehindertenausweis, um Nachteilsausgleiche einzufordern, gar einzuklagen.

Autist sein heißt, sich ständig rechtfertigen zu müssen und dennoch missverstanden zu werden.

q.e.d.

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Müde durch erzwungenen sozialen Umgang in der Schule?

Ein Phänomen, das mir seit meiner Ausbildung immer wieder auffällt: Nach gewissen sozialen Situationen bin ich körperlich, wie auch geistig völlig ausgeknockt.

Es fing an, dass ich mich damals an Berufsschultagen bereits am frühen Nachmittag schlafen legen musste und teils bis zum nächsten Morgen durchschlief. Bisweilen war die Müdigkeit so extrem, dass ich mitunter sogar schon im Unterricht einschlief und nichteinmal Koffein der Müdigkeit entgegensteuern konnte. Die anschließende 60km lange Heimfahrt von Wesel nach Essen gestaltete sich an solchen krassen Tagen dementsprechend als Kamikazetripp, der glücklicherweise immer ein gutes Ende nahm.

Zu Zeiten der Ausbildung suchte ich die Ursache dieser Müdigkeit nicht in den Schulbesuchen, sondern in der anstrengenden und langen Arbeit. Bei teils 14 Stunden pro Tag und mitunter 6- oder 7Tage Wochen, war es für mich naheliegend, dass ich mich einfach regenerieren musste. Die freien Nachmittage boten mir dazu augenscheinlich die einzige Möglichkeit.

Nach Abschluss meiner Ausbildung erlebe ich zur Zeit ein weiteres schulisches Intermezzo. Momentan mache ich im zweiten Bildungsweg mein Abitur nach und befinde mich wieder in einer ähnlichen Situation, wie sie mich zu Berufsschultagen übermannte.

Nach dem Stress, den ich in der Ausbildung kennenlernte, konnte der Schulstress nichtinmal annähernd so schlimm sein. Fakt. Der Schulstress hält sich trotz des arg komprimierten Zeitraumes von nur 8 Monaten deutlich in Grenzen. Um genauer zu sein, verspüre ich ein exakt gegenteiliges Gefühl, nämlich geistige Forderung, die mich von grundauf positiv stimmt.. Wäre da nicht die Tatsache, dass man in der Schule nunmal mit vielen Menschen in einem Raum sitzen muss und mitunter sogar zu Gruppenarbeiten gezwungen wird.

Es ist wie an den schlimmsten Tagen zu Berufsschulzeiten. Die Müdigkeit kommt im Laufe des Vormittags schleichend und legt sich wie eine schwere Decke auf mich. Im Unterricht bin ich zum Glück bislang nur ein einziges Mal eingeschlafen und bekomme doch irgendwie immer alles mit. Aber kaum daheim, halte ich es keine Stunde mehr im wachen Zustand aus und suche die Horizontale auf. An arbeiten und Hausaufgaben gar nicht zu denken.

Bliebe es bei einem kleinen Mittagsschläfchen, würde ich nicht klagen. Aber die Müdigkeit ist so heftig, dass ich nichtmals den Wecker höre, der meist auf zwei Stunden gestellt ist. Nicht selten schlafe ich 5-7 Stunden, teils bis 20/22 Uhr. Danach bin ich fit. So fit, dass ich meine Hausaufgaben in wenigen Minuten in Semi-Perfektion auf Papier bringen kann.

Zu Anfang zwang ich mich noch, allerspätestens gegen Mitternacht erneut schlafen zu gehen, doch mittlerweile leidet der Rhythmus. Ein Teufelskreis.

Müde durch sozialen Umgang in der Schule?

Die Ursache des Ganzen vermute ich in der Situation im Klassenraum, bzw. in der Schule. Hunderte Menschen auf engstem Raum. Da ist an aspergerkonformer Entspannung nicht zu denken. Die Eindrücke prasseln ungefiltert auf einen nieder. Lärm in den Pausen, Lärm in der Klasse; Getuschel, Gelächter, ignorante Spätpubertierende, die sich jeder Aufforderung seitens des Lehrpersonals widersetzen und in allen Fällen das letzte Wort an den Tag legen müssen. Eine Situation, die ich nur schwer ertrage, die so sehr gegen meine Grundfesten agiert, dass ich bereits zu Unterrichtszeiten in Verhaltensanalysen versinke und mich von banalen Faktoren ablenken lasse.

Doch das Glück ist auf meiner Seite, denn – so denke ich an meinen letzten Vollzeitschulbesuch zurück – kann ich mit vielen Situationen viel sicherer umgehen und weiß, dass ich nicht einknicken brauch. Ich bin stark, ich habe Ziele. Ziele die ich erreiche. Nicht durch meinen Autismus, sondern durch meine geistige Stärke, meinen Intellekt. Man entwickelt Strategien, die einem die Scheu vor dem täglichen Aufschlagen in dieser Lehranstalt nimmt.

Doch eines habe ich bislang noch nicht in den Griff bekommen: die Müdigkeit, die der Auffenthalt in einer solchen reizüberfluteten Umgebung mir beschert.

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aspienaut.de – Leben mit dem Asperger-Syndrom.

Als ich die Domain aspienaut.de im Januar 2017 registrierte, hatte ich eigentlich vor, zeitnah über meine Aspergerdiagnose zu schreiben. Damals befand ich mich jedoch im Endspurt meiner Ausbildung und hatte keinen Platz für einen weiteren Blog – auch wenn mich zu dieser Zeit sehr viele Themen berührten, die in direktem Kontext mit meinem Autismus standen.

Mittlerweile ist knapp ein dreiviertel Jahr vergangen und ich komme endlich dazu, das Thema Asperger-Syndrom in Worte zu fassen und die ersten Beiträge zu veröffentlichen. Im Zuge dessen habe ich mir auch die WordPress-Seite genauer angeschaut und diese soweit startklar gemacht und aktualisiert.

Nachdem ich 2016, mit 31 Jahren, meine Asperger-Diagnose gestellt bekam, fiel mir eine unbeschreibliche Last von den Schultern. Endlich hatte ich die Gewissheit für eine Vermutung, die sich bereits seit zehn Jahren wie ein roter Faden durch mein Leben zog.

Ich war immer schon anders, aber nicht anders genug, um tatsächlich auch nach außen auffällig anders zu sein. Als Kindergartenkind verschlang ich Lexika, interessierte mich bereits für Pflanzen und die Natur. Fasste gerne Dinge an, weil mich ihre Oberflächenstruktur faszinierte. Die Kindheit und Jugend verlief unauffällig. Ich galt schon immer als ruhig, introvertiert und intelligent.

Doch folgte irgendwann der Schulwechsel von der Realschule in die Oberstufe, der mein Leben nachhaltig veränderte. In der Oberstufe fasste ich während der drei Jahre nie wirklich Fuß und fiel mit 19 Jahren schließlich in ein schwarzes Loch. Mein Schutzschild, den ich mir seit Kindesalter unbewusst aufgebaut hatte, war den neuen Situationen nicht mehr gewachsen und fiel völlig in sich zusammen. Depressionen. Es folgte eine fast zehnjährige Phase mit nahezu völliger Gesellschaftlicher Isolation und selbstauferlegter Ausgrenzung, aus der ich es nur schwer herausschaffte.

Mit der Diagnose hatte ich endlich eine handfeste Erklärung für mein Verhalten, die nicht mehr ignoriert werden konnte.

Mittlerweile bin ich in einer langjährigen Beziehung, habe mein Hobby zum Beruf gemacht und die Ausbildung im Juli 2017 als Jahrgangsbester abgeschlossen. Ich stehe gesellschaftlich mitten im Leben und arbeite an meiner privaten, wie auch beruflichen Selbstverwirklichung.

Im Schreiben und Bloggen fand ich in den letzten Jahren einen Begleiter, der mir bereits in vielerlei Hinsicht half. Mit dieser Seite möchte ich Aufklären über ein Thema, das zwar mittlerweile eine gewisse Präsenz in den Köpfen vieler Menschen genießt, jedoch oftmals gar nicht wahrgenommen, im schlimmsten Falle gar falsch interpretiert wird.

Vielfach wird man als Asperger-Autist abgestempelt und in völlig falsche Raster einsortiert, ohne dass den Menschen das „Warum“ hinter all dem bekannt ist. Das Verhalten von Asperger-Autisten ist im sozialen Bereich anders und stößt oftmals auf Verständnislosigkeit. Nicht umsonst spricht man beim Asperger-Autistmus von einer unsichtbaren Behinderung.

Leider ist es für viele Menschen einfacher, Betroffene als arrogant und unfähig abzustempeln, statt den Grund ihrer Verhaltensweise in einer seelischen Behinderung zu sehen.

Man sieht Betroffenen ihren Autismus nicht an.

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Soziale Netzwerke als Stressquelle für Autisten

Soziale Netzwerke sind toll, sie sind mittlerweile Bestandteil unserer Gesellschaft und ein einfacher und schneller Weg der Vernetzung. Mit ihnen kann man Kontakte aufrecht halten, Informationen finden und sich und seine Ergüsse einer scheinbar interessierten Masse präsentieren.

Letzteres ist natürlich ein komplexes Thema. Auf die Gelegenheitsnutzer, die alle paar Tage bis Wochen ein Bild hochladen oder einen kurzen Status durchgeben, oder auf die Aufmerksamkeithaschenden, die ihr Privatleben in die Öffentlichkeit verlagern, und sich mit Kleinigkeiten profilieren, möchte ich nun gar nicht eingehen.

Jedoch auf die Anderen, die Kreativen, die Texte schreiben, die Wissen teilen, die Musik produzieren, die fotografieren. Eben jene, die soziale Netzwerke als Verbreitungskanal für ihre Ergüsse nutzen. Sei es nun kommerziell oder privat.

Plattformen dafür gibt es mittlerweile zuhauf. Sie heißen Facebook, Instagram, Twitter, wie auch immer. Was jedoch allen Platformen gemeinsam ist, ist das Konzept der Vernetzung in Form von Abonnements von Inhalten, oder dem Folgen dieser.

Wer solche Profile betreibt oder verfolgt, kennt das System, das Menschen zu leeren Zahlen macht.

Die einen entwickeln ein Suchtgefühl und beginnen sich und ihren Erfolg in diesen Zahlen zu messen, die anderen sehen diese Zahlen ganz pragmatisch eben nur als solche.

Soziale Netzwerke als Stressquelle für Autisten

Als Autist können soziale Netzwerke einem in vielerlei Hinsicht das Hirn zermatern.  Eher selten – bislang habe ich in noch keiner Autismusgruppe/ in keinem Autismusforum darüber gelesen – in meinem Falle aber zutreffend, ist es aber die Dynamik dieser Zahlen an Abonnenten, die solche Netzwerke nicht unbedingt als autismusfreundlich deklariert.

Menschen folgen, Menschen entfolgen. Inhalte sind beliebig und austauschbar. Ebenso die Profile, denen man folgt. Man entscheidet sich “aus dem Bauch heraus”, wem man folgt und entfolgt ebenso spontan.

Für einen nicht-Autisten sicher eine Thematik, die es zu analysieren gar nicht wert ist. Es ist, wie es ist. Für mich jedoch eine Sache, die mich immer wieder dazu bringt, intensiv drüber nachzudenken, warum mir Leute folgen, diese augenscheinlich Interesse haben, dann aber binnen kürzester Zeit wieder aus der Liste der Abonnenten verschwinden und diese eine Zahl, an die man sich just wieder gewöhnte, wieder verändern.

Selbst aus der eher speziellen Sicht eines Aspergers gibt es dafür Gründe, die auch nicht-Autisten wahrscheinlich unterstreichen würden:

  • Ein Profil wirkt auf dem ersten Blick interessant, entpuppt sich aber aus subjektiver Sicht im Nachhinein als langweilig.
  • durch das Folgen wird der Profilbetreiber informiert und die Aufmerksamkeit soll auf den neuen Abonnenten gelenkt werden – möglicherweise damit man selbst diesem folgt.

Was den meisten aber gar nicht bewusst ist – und selbst wenn es bewusst wäre, wahrscheinlich sowas von unwichtig erscheint, ist eben das Thema mit der ständig veränderbaren Zahl an Abonnenten. Eine schöne glatte Zahl, eine Schnapszahl, eine persönlich interessante Zahl – oder eben eine Zahl, die sich nicht schlagartig verändert, hat etwas Magisches.

Es ist vergleichbar mit der Lautstärke am Fernseher, die man gern – sei es bewusst oder unbewusst – auf eine gerade Zahl stellt. Oder manch einer Routine, die sich nicht ändern darf.

Hierbei geht es um ein Wohlgefühl, dem ein Unbehagen gegenübersteht. Im konkreten Bezug auf die sozialen Netzwerke auch teils Unverständnis über das Verhalten der Menschen.

Als treuer Leser von Gebrauchsanweisungen und Handbüchern, plädiere ich für folgenden Satz als Bestandteil einer Bedienungsanleitung in Bezug auf Verhaltensregegeln im Umgang mit Aspergern:

“Achtung, User ist Autist! Bitte nur folgen/abonnieren, wenn dauerhaftes Interesse am Verfolgen der Inhalte besteht. Bitte nicht durch kurzfristiges Folgen/Entfolgen unnötigen Stress aussetzen”

Abgesehen davon, dass der gewöhnliche Netznutzer eh lesefaul ist, ist es fragwürdig, wie ein solcher Satz überhaupt auf Außenstehende wirkt. Sicher ist es naiv zu glauben, das Problem dadurch zu lösen. Jedoch schmeichelt es dem eigenen Gewissen, zu wissen, einen Schritt in Richtung Aufklärung zu gehen.

q.e.d.

Nachtrag (09.10.17):

Nachdem ich das Thema in diversen Aspergergruppen auf Facebook ansprach, fielen die Reaktionen gespalten aus. Ich erwartete eher Zuspruch, dass eben dieses Phänomen der sich ständig ändernden Zahlen weiter verbreitet sei. Jedoch hat kaum jemand mein Anliegen verstanden und ich wurde als “Followergeil” abgestempelt, als jemand, der sich über die Anzahl der Follower definiere..

Die absolut unpassendste Reaktion war der Einwand, dass man bei Facebook eh keine Followerzahlen sehe, aber auch der schlaue Ratschlag, nur Freunde, die man wirklich kennt, aufzunehmen wurde gegeben..

Ich betone nochmal, hier geht es nicht um “Freunde”, oder irgendwelche Follower, die plötzlich fehlen. Hier geht es ausschließlich um die Dynamik dieser Zahl – der Anzahl, die mich stresst. Eben aus diesem Grund habe ich seit 2004 die selbe Handynummer.

Sind Autisten eigentlich immer so dermaßen anstrengend? Bin ich etwa auch so schlimm? Wenn ich lese, wie ich mich über Kleinigkeiten aufrege und davon leiten lasse, anscheinend ja.. 😉

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aspienaut.de

Aspienaut = Kunstwort aus Asperger-Autist (Aspie) und Astronaut.

Asperger-Autisten und Astronauten sind sich nicht unähnlich. Der eine befindet sich allein im Weltall, der andere allein unter Menschen. Beide umgibt ein Schutzschild, das sie von der Außenwelt abschirmt.

Sollte ich irgendwann das Bedürfnis bekommen, über meine Aspergerdiagnose zu schreiben, werde ich dies hier tun.

 

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