Bin ich ein Versager?

2018 bin ich in ein anderes Bundesland gezogen, um endlich meinen Traum zu erfüllen: STUDIEREN. Davor machte ich im zweiten Bildungsweg extra für diesen Traum das Abi als Jahrgangsbester in 10 Monaten nach, nachdem ich unmittelbar zuvor meine Ausbildung als Jahrgangsbester nach nur 22 Monaten abschloss. Ich war zwar ein Spätzünder, aber zugleich ein Überflieger und getragen von dieser Motivation und Euphorie sollte ich mit 33 endlich Student sein; hatte meine erste eigene Wohnung, war zum ersten Mal allein dauerhaft in einer fremden Stadt, konnte zum ersten Mal erleben, was es heißt, erwachsen zu sein. Kurz zuvor war meine erste Beziehung nach fast 6 Jahren in die Brüche gegangen. Dies bedeutete für mich ein weiterer Faktor, mein altes Leben hinter mich zu lassen und komplett neu anzufangen.

Ich zog aus dem Ruhrgebiet nach Osnabrück, um zu studieren, um Abschlüsse zu machen, endlich das zu machen, wofür ich laut meiner Überzeugung durch meinen IQ bestimmt sei. Hatte in euphoriegeschwängerten Anflügen sogar mal das Ziel, vielleicht irgendwann zu promovieren – mindestens aber den Master, wollte Großes erreichen, wollte eine neue Beziehung finden, neue Freunde finden, beruflich neu durchstarten, mich nebenberuflich in der Selbstständigkeit etablieren, langfristig eine Familie gründen. Kurzum: mein Leben komplett neustarten.
Ich hatte Ziele, war motiviert, wollte mit Anfang 30 mein Leben endlich auf die Reihe bekommen; Ziele vor Augen haben, die es zu verfolgen lohnt. Im Zuge dessen begab ich mich ein halbes nach Jahr meinem Umzug und Beginn des Studiums in Autismustherapie, um mich mental zu stärken, meinen Alltag zu strukturieren, Strategien zu lernen und um nicht erneut im Leben zu scheitern.

Mittlerweile sind 4 1/2 Jahre vergangen. Ich werde dieses Jahr 38 und von meinen Plänen, die mich 2018 so beflügelten, erreichte ich in Osnabrück nichts. Ich blicke auf 9 Semester eines Studiums zurück, das mich an allem zweifeln ließ, was mich bis dato antrieb, was mich motivierte, was mich ausmachte, was ich in den Jahren davor erreichte, wonach ich strebte. Konsequentes Versagen, konsequente Erfolglosigkeit. Meine letzte Prüfung schrieb ich im Januar 2021, seit dem ist nichts in meinem Leben hier in Osnabrück passiert, was positiv zu erwähnen sei. Der hochgelobte Neuanfang driftete für mich immer mehr in das persönliche Versagen ab, mein Exil war fortan immer mehr mit meinem Scheitern assoziiert. Das Scheitern, die Einsamkeit und die Unfähigkeit sozialen Anschluss im Studium zu finden, trieb mich in Depressionen, wie ich ich sie wenige Jahre zuvor noch überwunden glaubte. Die ganze Situation steigerte sich immer mehr ins unermessliche Abseits und so waren die letzten Jahre überwiegend geprägt von Selbsthass, Suizidgedanken und auch Versuchen.

Vor einem Jahr verbrachte ich schließlich 3 Monate in einer psychiatrischen Klinik, in der Hoffnung nochmal die Energie zu finden, die mich 2018 antrieb, mein Leben erneut neu zu starten und von dem bohrenden Gedanken, meinem Leben ein Ende zu setzen, loszukommen. Leider überwiegend vergebens. Die Phasen, die zuvor Tiefpunkte meines Lebens ausmachten, gehörten auch nach dem Klinikaufenthalt zum Alltag. Mittlerweile liege ich die meiste Zeit im Bett, verwahrlose phasenweise in meiner Wohnung, schaffe es sehr oft nicht einmal, einzukaufen oder für adäquate Nahrungsaufnahme zu sorgen und verlasse sehr oft nur an 2 Tagen in der Woche für 5 1/2 Stunden für meinen Minijob das Haus. Ausnahmen sind eher selten. Abwechslung habe ich nur, wenn ich in der Heimat bin und dort zumindest kurzzeitig abschalten und die Qualen vergessen kann – bis der Teufelskreis montags erneut losgeht, ich wieder ins Exil fahre, um Dienstag 5 Stunden im Minijob zu arbeiten. Die Zeit bis Samstag vegetiere ich meist wieder dahin, um Samstag erneut 5 Stunden zu arbeiten, um dann wieder für 2 Tage in die Heimat zu fahren. Im Zuge der Autismustherapie kam ich vor 2 Jahren mit einer persönlichen Assistenz in Kontakt, um meinen Alltag besser zu bewältigen. Diese wurde sogar bewilligt, doch schaffte ich es nicht, diesen Dienst anzunehmen, da ich mich in Grund und Boden schämte, mir meine Unfähigkeit vor Augen halten zu müssen. Ich ließ mich nie drauf ein und ignorierte jegliche Kontaktaufnahmen seitens des Dienstes.

Heute sollte das neue Semester beginnen, der gestrige Besuch auf dem Campus gab mir doch etwas Freude, mich einem erneuten Neustart zu widmen und das Studium wieder aufzunehmen. Ich ging jedoch nicht hin. Ich muss mir vor Augen halten, dass ich nach 9 Semestern lediglich 25% des Bachelors erreicht habe – mit Noten, wie ich sie von mir nicht kenne, für die ich mich eigentlich schämen sollte.. Dazu die Angst vor Bafögschulden, bei denen ich nicht weiß, wie ich sie jemals im Leben abbezahlen soll, da ich selbst mit einem Minijob schon völlig überfordert bin. Zudem kommen ab dem 15. Semester Langzeitgebühren hinzu, die ich nicht bezahlen kann. Nach dem Wegfall des Bafögbezuges lebe ich seit August des letzten Jahres von einem Minijob, der lediglich meine Miete deckt. Der Rest wird aus zusehends schwindenden Ersparnissen bezahlt, die nicht mehr all zu lang reichen. Aufgrund meiner Situation bin ich nicht fähig mich autark zu finanzieren.

Die mittlerweile diagnostizierte rezidivierende Depression macht den Alltag für mich – zusätzlich zu meinen sozialen Einschränkungen durch den Autismus – unerträglich und schränkt mich in meiner Leistungsfähigkeit massiv ein – trotz Medikation. Meine ganze Situation ist der Anfang vom Ende und zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn ich nun psychisch dazu fähig wäre, das Studium nochmal in Angriff zu nehmen, würde es mich in den finanziellen Ruin treiben, da ich keine Ahnung habe, wie ich Studium und Arbeit miteinander vereinbaren kann. Selbst die 11 Stunden pro Woche im Minijob bringen mich mittlerweile an meine absolute Belastungsgrenze, dass ich zusätzlich nicht einmal Energie fürs Studium aufbringen könnte.

Dennoch bin ich immer noch der Überzeugung, dass ich ohne akademischen Abschluss ein Mensch zweiter Klasse bin – erst recht, nachdem ich fast ein Jahrzehnt meines Lebens ohne Ausbildung, mit einem schlechten Realschulabschluss regelrecht dahinsiechte und nichts erreichte, Menschen mich als Versager abstempelten, mir keine Hoffnung auf eine sinnvolle Zukunft machten. Nur deswegen habe ich das Abi nachgemacht, nur deswegen darauf seit 2017 hingearbeitet, doch etwas aus meinem Leben zu machen. Ich wollte mir etwas beweisen, ich wollte anderen etwas beweisen. Ich bin intelligent genug, um jeden Abschluss zu erreichen, doch ich kann es nicht, weil das Umfeld mich krank gemacht hat. Für Menschen wie mich ist in einem Studium, das nur auf wirtschaftliche Erfolge im späteren Berufsleben abzielt, kein Platz. Mir das Scheitern einzugestehen kommt einer Resignation gleich, mit der ich mein Leben wegwerfe, mich selbst ausrangiere. Mit dem Zugeständnis des Scheiterns hat mein Leben für mich an Relevanz verloren und wäre nichts mehr wert. Dieses scheitern würde mich bis an mein Lebensende negative prägen.

Selbst ein Klinikaufenthalt kommt nicht mehr in Frage, da die Krankenkasse bei Studenten kein Krankengeld zahlt und ich spätestens nach 6 Wochen auf dem Trockenen säße, nichtmal meine Lebenshaltungskosten zahlen könnte. 6 Wochen wären viel zu kurz, um irgendetwas Produktives zu erzielen.

Ich weiß nicht weiter.

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