Ich fand eben etwas wirklich berührendes, was mich nachdenklich und traurig stimmt. Ein Text, den ich 2010, mit 25 Jahren schrieb. All die Problem die ich damals niederschrieb, sind genau das, weshalb ich 6 Jahre später die Asperger-Diagnose bekam, jedoch damals noch nicht im Wissen oder gar in der Ahnung, in diese Richtung zu tendieren, auch wenn mir Leute aus dem Umfeld bereits klar vermittelten, dass ich autistisch wirkte. Es waren genau die Probleme, mit denen ich auch heute noch kämpfe, die meine inneren Dämonen sind, die jedoch irgendwie mittlerweile so zu mir gehören, dass ich gelernt habe, damit umzugehen um doch irgendwie halbwegs zu funktionieren.
ich bin 25 Jahre alt und habe seit 2005 weder eine Schule besucht, noch in irgendeiner Form gearbeitet.
2002 wechselte ich von der Realschule auf ein Berufskolleg um dort mein Fachabi zu machen. Im Grunde habe ich mich von Anfang an nicht wohl gefühlt.
Es gelang mir nicht, die neue Situation zu akzeptieren und mich an die neuen Leute zu gewöhnen. Ich war von Anfang an ein Außenseiter, der es nicht schaffte, Kontakte zu knüpfen. Jeder Tag war eine Qual. Ich versuchte zwar, mein Bestes zu geben, allerdings zog ich mich mit meinen negativen Gedanken selbst herunter. Der Unmut über meine Situation wuchs stetig heran und brachte mich nach einiger Zeit auch außerhalb der Schule zum Grübeln.
2004 kamen die ersten Gedanken, dem ganzen ein Ende zu setzen. Die Ausführung scheiterte bereits in der Planung und ich flüchtete mich immer mehr ins Internet, um von der emotionalen Belastung in der Schule Abstand zu gewinnen. Der emotionalen Abwärtsspirale folgte die schulische, als ich die 12. Klasse wiederholen musste.
Das erste Halbjahr der Ehrenrunde verlief recht optimistisch und ich sah in dem Ganzen eine Chance, mein Leben neu zu ordnen und von vorn zu beginnen. Allerdings packte mich im zweiten Halbjahr ein weiteres seelisches Tief, dessen Ursachen mir nie bewusst wurden, dass mich nur noch weiter von der Außenwelt abschottete.
Ich war nicht mehr im Stande, mit meinem schulischen Umfeld in Kontakt zu treten. Ich fühlte mich, als hätte mich eine undurchdringliche Blase umgeben, die jegliche Kommunikation zur Außenwelt unterband. So kam es, dass meine eh schon mangelhafte mündliche Mitarbeit gen 0 stagnierte. Gruppenarbeit war ebenfalls undenkbar, da mich die Nähe zu meinen Gruppenprobanden anekelte und mir allein der bloße Gedanke, mit anderen Menschen zusammenarbeiten zu müssen, panische Angst bereitete, mich innerlich so dermaßen aufwühlte, dass ich keine Leistung erbringen konnte..
Nachts floh ich ins Internet, um die Ängste vor dem kommenden Tag und der erneuten Konfrontation mit anderen Menschen in virtuellem Blut zu ertränken. Es kam, wie es kommen musste. Die Unlust an der Schule wuchs ständig und mutierte zu einer aussichtslosen Situation. Das Fernbleiben vom Unterricht entpuppte sich als eine lukrative Möglichkeit, die Ängste wenigstens für kurze Zeit zu bändigen. Ergo täuschte ich teilweise vor, zum Bus zu gehen, um nach einer halben Stunde den Heimweg anzutreten, wenn ich mir sicher war, dass meine Mutter bereits auf dem Weg zur Arbeit war.
An anderen Tagen log ich und erfand Geschichten, um die ersten Stunden schwänzen zu können. Die Gewissheit, dass ich diese Schule wenige Monate später ohne Abschluss verlassen würde, bestätigte sich nun endgültig. Drei verplemperte Jahre. Eine Klassenfahrt im Frühling 2005 ignorierte ich völlig. Den Ersatzunterricht schwänzte ich ebenfalls.
“Wozu diese Qual weiterhin ertragen, wenn das Ende eh in greifbare Nähe rückte?” War mein Gedanke. Das Schuljahr endete auf Grund der anstehenden Praktika bereits im Mai. Dinge, von denen meine Mutter nichts wusste. Sie wusste nichtmal, dass ich die 12. Klasse wiederholte und war im glauben, dass ich wenige Monate später mein Abi nach Hause brachte…
Da ich mich nicht um einen Praktikumsplatz bemühte und meine Mutter glauben sollte, dass ich die Tage in der Schule verbrachte, ging ich jeden Morgen – über 2 Monate hinweg – Tag für Tag artig aus dem Haus und Schlug mir die Zeit in Parks und sonstigen stillen Orten, welche die Natur mir bot, tot. Ich genoss die Stille. Es war seit langer Zeit eine meiner wenigen Situationen, in denen ich halbwegs abschalten konnte. Teilweise beobachtete ich über Stunden hinweg Hasen und Vögel, um gegen Mittag den Heimweg anzutreten. Natürlich musste ich höllisch aufpassen, dass mir niemand begegnete. Aber irgendwie konnte ich diese Taktik bis zu den Sommerferien erfolgreich durchhalten.
Der darauf folgende Übergang in ein Leben, dass lediglich aus “Warten auf den nächsten Tag” besteht, war nahezu fließend. Die Freude, dass ich endgültig von dieser Schule, welche mir so großes emotionales Leid zufügte, fort war, war so groß, dass ich bis heute keinen Schritt mehr in diese Anstalt tat – auch nicht, um das letzte Zeugnis der wiederholten 12. abzuholen.
Allerdings schämte ich mich, dass ich kein Abizeugnis vorzeigen konnte. Zu diesem Zeitpunkt kam es mir gelegen, dass ein Umzug anstand und meine Mutter anderweitig beschäftigt war und mir keine unangenehmen Fragen stellen konnte. Ergo hüllte ich mich in Schweigen und ließ die Situation geschehen. Zu meinem Erstaunen wurden auch nach dem Umzug keine Fragen gestellt. Auch nicht, als der Zeitpunkt kam, an dem ich täglich zuhause blieb und plötzlich keinem geregelten Alltag mehr nachging.
Ich begann, die Situation zu genießen und igelte mich immer mehr in meinem Dachgeschoss ein. Es folgten Phasen in denen ich mein Zimmer tagelang, das Haus monatelang nicht verließ. Isolation wurde immer mehr zu meinem Lebensmittelpunkt. Ich genoss die Freiheit und die Tatsache, keine anderen Menschen mehr um mich dulden zu müssen und machte mein kleines Dachgeschosszimmer dieses Einfamilienhauses immer mehr zu meinem Heiligtum, das niemand außer mir betreten durfte.
Nach einigen Monaten kam ich selbst zu der Erkenntnis, dass etwas geschehen musste. Ergo überwand ich mich zu einem Gang zum Arbeitsamt. Ich versagte völlig, als ich mit dieser unbekannten Person zusammen in diesem Büro saß und über meine Situation reden musste. Es war mir peinlich und ich sprach nur das Nötigste. Im Grunde brachte mir der Besuch nichts. Außer, dass ich mich in meiner Tatsache bestätigt fühlte, dass es besser sei, den Kontakt zu anderen Menschen weiterhin zu meiden. Was folgte waren sporadische Besuche beim Amt und ein mir zugewiesener Lehrgang zum Thema “wie schreibe ich Bewerbungen”. Im Sommer 2006 fand bis dato mein letzter Kontakt mit dem Arbeitsamt statt.
Der nächste soziale Absturz folgte 2 Jahre später, als mich 2008 meine damalige Krankenkasse regelrecht vor die Türe setzte. Seit diesem Zeitpunkt bin ich ohne KV.
Im Sommer 2010 hatte ich das Glück, in einer Band zu spielen. Es kostete große Überwindung, mich diesem Projekt anzuschließen. Mein Verhalten war allerdings so, wie ich es erwartete. Ich war die stumme Deko mit der Gitarre vorm Bauch und stand stumm und nahezu apathisch in der Ecke und leierte mir aus purer Langeweile die wahnwitzigsten Riffs aus den Fingern, ohne mich an Unterhaltungen der anderen zu beteiligen oder diese gar zu beachten.
Ich konnte die Gespräche der anderen oft nicht deuten und fand keinen Grund in diese Einzusteigen. Es war ein bohrendes Gefühl, wieder ständig den Blicken anderer Menschen ausgesetzt zu sein und obendrein mit diesen in einem geschlossenen Raum zu agieren. Ich fühlte mich an mein letztes Schuljahr erinnert. Dies waren einige der Gründe, weshalb ich mich nach 5 Monaten aus der Sache zurückzog. Es machte zwar Spaß, aber die gefühlte psychische Belastung war so groß, dass ich mich nicht mehr im Stande sah, weiterhin meinen Beitrag in dieser Band zu leisten.
Durch die Bandgeschichte lernte ich allerdings meine erste Freundin kennen. Die erste Frau, die kein Problem mit meiner Art hatte und selbst mit meinem “Nichtstun” leben konnte. Durch sie schaffte ich es, neuen Mut zu fassen und über meinen Schatten zu springen. Ich begann ernsthaft an meiner Zukunft zu arbeiten und schmiedete Pläne, wie ich meiner schier aussichtslosen Situation hätte entliehen können. Zum ersten mal seit 5 Jahren machte mein Leben wieder einen Sinn und ich dachte nicht täglich daran, wie ich mein Leben auf möglichst kreativer Art beenden könnte. Ich war einfach nur glücklich. Zum ersten Mal durfte ich erfahren, wie sich Dinge anfühlen, nach denen ich mich bis dato vergebens sehnte. Es waren die Banalitäten, die mich glücklich machten und mich neuen Mut schöpfen ließen; ein Kuss, eine Umarmung oder einfach nur die Tatsache, geliebt zu werden.. Allerdings war auch hier nach 4 Monaten Schluss.. Aus einem schleierhaften Grunde wäre es natürlich das Beste, alles zu vergessen. Punkt. Schicht im Schacht.
Und abermals begann mein Fall in ein schwarzes Loch. All der neue Mut war von einem Tag auf den andren wie weggeblasen. Meine Pläne verworfen und die Lethargie zog mich abermals in ihren Bann. Ich bin 25 und dulde diese Situation des Nichtstuns nun im 6. Jahr. Auch wenn ich mich in meiner Situation am Bodensatz der Gesellschaft befinde, so kann ich mit Stolz behaupten, dass ich keine staatlichen Gelder beziehe und der Gesellschaft nicht auf der Tasche liege.
Wahrscheinlich schaffe ich dies nur, weil ich immernoch im Haus meiner Mutter wohne. Ich bin die Personifikation der Unselbstständigkeit. Monatlich lebe ich von 30Eur Taschengeld, die ich seit meinem 16. Lebensjahr per Dauerauftrag überwiesen bekomme. Es ist wenig, aber ich weiß damit umzugehen. Da ich eh kaum ausgehe und mir selten etwas kaufe, schaffe ich dies auch sehr gut. Allerdings muss etwas geschehen.
Es gelingt mir nichtmal, mein eigenes Leben zu leben. Selbst zu banalster zwischenmenschlicher Kommunikation bin ich nicht im Stande. Ich habe panische Angst vor sozialen Konfrontationen und weiche ihnen soweit es geht aus. Gespräche anderer erscheinen mir oft zu oberflächlich und belanglos, um ihnen Beachtung zu schenken. Kleinigkeiten – sei es auch nur
die Kritik an meiner Situation – ziehen mich so sehr runter, dass ich Wochen bis Monate dran zu knacken habe.
Angelegenheiten, die mich emotional noch stärker aufwühlen, setzen sich dementsprechend tiefer in meiner Seele fest. Eine Frau, welche mich 2008 zurückwies, hat mir bis zum Sommer 2010 starkes Kopfzerbrechen bereitet. 2 Jahre Heulerei und den Wunsch, etwas zu vergessen, was sich weder vergessen noch verdrängen lässt, weil es fest in mein Hirn eingebrannt ist.
Ich habe mich so sehr drauf festgefahren, dass jegliche Art der Ablenkung vergebens war.. Selbiges hat mich auch nun bei meiner Freundin ereilt, welche im Feb. nach 4 Monaten – für mich unverständlich – den Schlussstrich zog und mich aufs Abstellgleis schob, obwohl sie mir kurz vorher noch die ultimative Liebe beschwor, ob der Tatsache, dass sie mehrfach betonte, mit meiner Situation ansich kein Problem zu haben..
Ich steigere mich unfreiwillig in Dinge rein, die mich bewegen. Mache sie zu meinem Lebensinhalt und verbringe soviel Zeit mit Nachdenken, dass mir keine Zeit für sinnvolle Dinge bleibt. Es ist eine Sucht, gegen die ich nicht ankämpfen kann. Jedes banale Detail muss ich hinterfragen. Jede Kleinigkeit füllt mein Hirn mit Unmengen an Informationen, die Jahre der Bewältigung benötigen. Es ist egal, ob es ein (negativer) emotionaler Reiz ist, oder lediglich ein Bild oder Gegenstand. Wenn mich etwas tief berührt, Grübel ich zwangsläufig drüber nach. Ich sitze manchmal stundenlang regungslos auf meinem Stuhl und vertrödel meine Zeit damit, banale Dinge zu bewundern, bis ich keinen Anlauf finde. Zeit, die ich deutlich sinnvoller nutzen könnte. Manchmal habe ich das Gefühl, in meiner Masse an Gedanken zu ersticken.
Denke ich zu sehr, überkommen mich starke Migräneanfälle, die mich für ein paar Tage komplett aus dem Verkehr ziehen. Ich liebe die Einsamkeit. Allerdings weiß ich nicht, ob dies mittlerweile aus purer Abstumpfung geschieht, oder ob dies meine ehrliche Meinung ist. Auf der anderen Seite hasse ich Sie. Die Einsamkeit frisst mich auf. Nur steht dies in einem Widerspruch zu meinen sozialen Umgangsformen.
Ich will etwas ändern. Weiß aber nicht, wo ich anfangen soll. Ich könnte Bewerbungen schreiben, mich bei einer Schule einschreiben, versuchen mein Abi nachzumachen. Aber was bringt mir das, wenn dies genau so endet, wie jeglicher Versuch bisher? Ich will raus aus diesem Trott, raus aus diesem Seelengefängnis, weg vom Bodensatz der Gesellschaft. Aber es gelingt mir nicht, mit anderen Menschen umzugehen.
Die Band zeigte mir dass ich noch immer nicht fähig bin, kontinuierlich mit anderen Menschen konfrontiert zu werden. Es staut sich binnen weniger Wochen/Monate soviel seelischer Druck an, dass ich das Handtuch werfe, eh ich richtig durchstarten konnte. Im Grunde muss ich das Problem an der Wurzel fassen. Und die Wurzel ist nunmal mein absonderliches Sozialverhalten.
Nur wird dies ohne professionelle Hilfe kaum möglich sein. Aber wo anfangen, wenn keine Krankenversicherung vorhanden ist? Eine KV kann ich mir erst leisten, wenn regelmäßiges Einkommen vorhanden ist. Und um regelmäßiges Einkommen zu erwirtschaften, muss ich erstmal das Problem an der Wurzel packen, um nicht wieder zu versagen – was ich wiederum seit 6 Jahren nicht allein schaffe. Es ist ein Teufelskreis.
Kommt hinzu, dass ich panische Angst vor der Wahrheit habe, die sich in meinem Kopf verbirgt. Ich kann schließlich nicht leugnen, dass da oben anscheinend irgendwas nicht stimmt.. Ich könnte meiner Mutter mein Herz ausschütten, aber davor drücke ich mich permanent. Ich bin der Ansicht, dass es an ihr ist, nachzufragen. Seit 6 Jahren wird hier dieser offensichtliche Missstand einfach totgeschwiegen. Ich hatte eine wunderbare Kindheit und Jugend, das Verhältnis zu meiner Familie ist immer gut gewesen, aber ich schaffe es nicht, meine Problematik darzulegen. Es ist beschämend genug, dass es überhaupt soweit gekommen ist.