Gedanken zum Thema psychische Gesundheit anlässlich des “mental health awareness day”

In dieser Woche fand der weltweite mental health awareness Tag statt – ein Tag, um auf psychische Erkrankungen und deren Auswirkungen aufmerksam zu machen. Denn gerade nicht sichtbare Krankheiten und Behinderungen werden immer noch von vielen Menschen als Faulheit, Dummheit Unwille oder Unfähigkeit abgestempelt, Betroffene nur zu oft in ein entsprechendes Klischee einsortiert, ohne die Hintergründe und Umstände einer Situation zu kennen.

Meine Reise durch diese Kontroverse der eigenen psychischen Abgründe dauert nun schon seit meiner Jugend an und prägte mein ganzes Leben. Die Einsicht, den Umstand als Krankheit zu bezeichnen, kam leider erst sehr spät in meinen Zwanzigern.

“Stell dich nicht so an”, lass das Gejammer sein”, “Heule nicht herum”, “sei ein Mann”, “musst du eigentlich immer anecken?”: Nur wenige, aber prägende, Beispiele, die man regelmäßig zu hören und lesen bekommt, wenn man das Thema Depression offen kommuniziert.

Ich selbst fand mich sogar mal in dieser Position wieder, jemandem mit lebenseinschränkenden psychischen Leiden ernsthaft klar machen zu wollen, dass Therapien und ein starker Wille immer zum Ziel führen und man manchmal einfach “aus dem Quark kommen muss”. Ganz ehrlich? Ein Satz, wie man ihn häufig zu hören bekommt, der von vielen scheinbar als Allheilmittel gegen Depressionen und Artverwandtes angesehen wird. Doch Sätze wie dieser sind der Grund, weshalb auf psychische Erkrankungen immer noch aktiv aufmerksam gemacht werden muss, solang sie nicht gesellschaftlich akzeptiert sind. Für mich ist klar – und so wurde mir in den letzten Jahren meiner Reise bewusst: ich schäme mich, jemals einer Person einen solchen Satz gesagt zu haben. Er ist anmaßend, überheblich, arrogant und zeugt von eklatanten Wissenslücken über psychische Erkrankungen und dem massiven Unwillen, sich mit der psychischen Gesundheit einer anderen Person auseinander zu setzen – was man eigentlich machen sollte, wenn man eben jene Person zu seinem Bekannten- oder gar Freundeskreis zählen will.

Doch bin ich eben so aufgewachsen und lernte es nicht anders: Depressionen wurden in meinem Umfeld – teils sogar in der eigenen Familie – nur zu oft als “Wehwehchen” menopausierender, arbeitsloser Hausfrauen abgetan, die nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Im besten Falle wurde das Thema einfach totgeschwiegen oder jedwede Gesprächsversuche über die psychische Gesundheit im familiären Umfeld mit Zorn im Keim erstickt. Klar, dass man sich selbst der Realität verwehrt, wenn man plötzlich in sich geht und einem bewusst wird, dass man genau diese Symptome an sich seit Ewigkeiten wahrnimmt. Meine Erkenntnis glich damals einem coming out – zumindest soweit, wie ich mir als heterosexueller Mann anmaßen kann, diese Wortwahl verwenden zu dürfen.

Die Reise durch die psychischen Abgründe meiner selbst begann eigentlich schon in der Kindheit, schränkte mich aber erst seit der Jugend wirklich ein und brauchte Jahre, um ausgesprochen zu werden.

Letztes Jahr kam – mit damals noch 36 Jahren – nach über 20 Jahren des Leidens und immer größer werdender, akuter Suizidalität nun die offizielle Diagnose “rezidivierende Depression” hinzu – jedoch, so bin ich überzeugt, als Symptom jahrzehntelangen Maskings aufgrund des viel zu spät diagnostizierten Aspergersyndroms. Sich sein Leben zu verstellen, um als normal angesehen zu werden und nicht aufzufallen, ist wie ein ewigwährender Marathon ohne Pause, ohne Schlaf, immer auf 180: ständig versuchen, unterm Radar zu bleiben, nicht als sonderbar angesehen zu werden und gesellschaftliche Ziele zu erreichen, die einfach nicht erreichbar sind.

Antidepressiva (davon habe ich rund ein Dutzend durch) wirken bei mir nicht, wie sie sollen, jahrelange Psychotherapie im verschiedensten Ausprägungen und zuletzt ein mehrmonatiger Klinikaufenthalt im letzten Jahr waren auch nicht zielführend. Letzterer eher kontraproduktiv, weil man mich ständig mit meiner Andersartigkeit und Unangepasstheit konfrontiert. Einzig die Bestätigung der eben genannten Diagnose rezidivierende Depression war der einzige Benefit, den ich für mich persönlich aus diesem Klinikaufenthalt mitnahm.

Nun war meine einzige und für mich letzte Lösung, mein – eh schon immer weniger – lebenswertes und selbstständiges Leben aufzugeben und mit 37 wieder ins Elternhaus zu ziehen, um irgendwie wieder mental mit mir selbst im Reinen zu sein und wieder lernen, zu funktionieren. Selbst Kleinigkeiten, wie überhaupt erstmal das Bett zu verlassen, sich zu duschen und zu rasieren, seine Wäsche nicht wahllos in die Ecke zu werfen, sondern zu sortieren, sind manchmal riesige Erfolge – an manchen Tagen sogar die einzigen, zu denen ich im Stande bin.. Wenn überhaupt. Das sind verdammt kleine Schritte und ich habe keine Ahnung, wohin mich dieser Weg führt, aber die Panik, irgendwo in einem anderen Bundesland völlig einsam im seinen eigenen Müll dahin zu vegetieren und sich unaufhaltsam den Tod herbei zu wünschen, ist erstmal vom Tisch.

Manchmal hat man einfach die Arschkarte im Leben gezogen. Depressionen und psychische Erkrankungen im Allgemeinen müssen in dieser Gesellschaft endlich sichtbarer werden und diese Banalisierung, die leider immer noch in vielen Köpfen zu finden ist, muss endlich aufhören! Man ist kein schlechter Mensch oder Mensch zweiter Klasse, weil man eben nicht so funktioniert, wie es der kapitalistisch leistungsorientierte gesellschaftliche Konsens von einem verlangt.

Depressionen haben viele Ursachen, sind individuell wie die betroffene Person und äußern sich in mannigfaltigen Ausprägungen. Doch eines ist ihnen immer gemein: Depressionen sind eine potentiell tödliche Erkrankung, die nicht nur den Betroffenen, sondern sein komplettes Umfeld belasten.

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