Autismus und Socialmedia: Ambivalenzen und ständige Trigger

Ich muss gestehen, dass Socialmedia für mich immer DER Rückzugsort war, wenn das Reallife mich überforderte, wenn die menschliche Interaktion, die face-to-face Kommunikation mich überreizte und es mir nicht mehr möglich war, die Handlungen des Gegenübers zu verstehen oder ich generell in Phasen war, in denen ich jedweden sozialen Kontakt generell vermied.

Socialmedia war für mich immer ein Ort der Stille, in den ich hinabtauchen konnte, wenn die Welt da draußen mich überforderte. Die Interaktion fand statt, ohne drüber nachdenken zu müssen, wie ich auf andere wirke, ohne dass ich mir selbst großartige Gedanken um das Handeln anderer Personen oder meiner Interaktionspartner machen musste. Kurzum es funktionierte und brachte mir den Funken Normalität, den ich mir so oft im sozialen Umgang im Reallife auch wünschte.

Mit dieser Haltung stehe ich auch heute noch dem Thema Socialmedia gegenüber und bin daher ein intensiver Nutzer vieler Dienste. Doch merke ich, dass sich die Dinge grundlegend änderten. Ist es mein Anspruch an die virtuelle Kommunikation als solche oder hat sich die Kommunikation und Interaktion im Netz einfach so sehr verändert, dass ich sie nicht mehr verstehe?

Ich muss dazu sagen, dass ich in Sachen Socialmedia schon fast ein Dinosaurier bin und das Netz als intensives Kommunikationsmedium nutzte, weit bevor es Socialmedia, wie wir es heute kennen, gab. Vor zwanzig Jahren nutzte ich exzessiv ICQ und IRC und liebte es damals, Menschen virtuell kennenzulernen – etwas, das mir im echten Leben fernab des Internets nie gelang, wonach ich mich jedoch immer sehr sehnte, mir jedoch verwehrt blieb.

Damals war die Userschaft im Netz noch etwas spezieller. Vor allem auf Plattformen (auch wenn Plattform hier technisch nicht korrekt ist, bleibe ich der Einfachheit bei diesem Begriff), wie dem IRC traf man eher auf Nerds und technikaffine Freaks, Gamer und Menschen wie mich, die ihre sozialen Einschränkungen im Offlineleben durch ihre Aktivitäten im Netz erfolgreich kompensieren konnten und somit das Internet als einziges Ventil zur sozialen Außenwelt nutzten, weil sie dort normal sein konnten. Es bildeten sich eingeschworene Gruppen, aus denen gar Freundschaften hervorgingen, die später teils sogar in die Offlinewelt übergingen, Menschen mit denen man Interessen teilte und gemeinsamen Freizeitaktivitäten nachging; Menschen, die man wahrscheinlich ohne das Medium Internet nie kennengelernt hätte.

Das Ganze zog sich hin bis die ersten Socialmedia- und Web 2.0- Angebote auftauchten (aus diesem Grunde bin war ich übrigens seit 2007 Twitternutzer). Die Interaktion war einfach eine Selbstverständlichkeit. Sogar für mich war es etwas, über das ich nicht groß nachdenken musste, das mir einfach gelang. Man kam in Kontakt, wurde respektiert und akzeptiert. Aus dieser Zeit nehme ich die einzigen, wenigen Erfahrungen mit, in denen mir das Kennenlernen von fremden Menschen leicht fiel, sogar Freude bereitete – weil es eben nur rein online stattfand und der Umgangston, das komplette Gebaren im Netz, noch ganz anders war.

Heute fühle ich mich wie jemand, der aus einer anderen Zeit kommt, jemand der aus einem Koma erwachte und die Gegenwart nicht mehr versteht, jemand, sich auf Portalen/Apps anmeldet und mit der selben Attitüde an die Sache herangeht, die vor 15-20 Jahren für mich erfolgreich war. Für mich ist Socialmedia (stellvertretend für Kommunikation/Interaktion und dem Kennenlernen von Gleichgesinnten übers Netz im Allgemeinen) immer noch dieses leichtgängige Etwas, das schon fast sentimentale Erinnerungen und Sehnsüchte in mir weckt, ich wünsche es mir zumindest, aber die Realität sieht mittlerweile anders aus.

Socialmedia hat für mich längst nicht mehr den Charakter eines sicheren Rückzugsortes, in dem auch ein sozial völlig verkrüppelter Autist funktionieren kann und anerkannt wird, in dem man eintauchte und irgendwie mit völlig fremden Menschen sowas wie eine Freundschaft aufbaute, im Gegenteil: Socialmedia ist für mich heute einer der größten Trigger mit einer Tragweite, die weit in meinen Alltag hineinreicht. Subjektiv assoziiere ich Socialmedia heute eher mit negativen Worten und Erfahrungen wie: Egoismus, Narzissmus, Neid, Missgunst, Ignoranz, Konkurrenzdenken, Lügen, Stutenbissigkeit, Überreizung, Anschuldigungen, Oberflächlichkeit und anderen Dingen, die Energie rauben.

Okay..

Eigentlich wollte ich nur meine Gedanken zum Thema Instagramgepflogenheiten aus der Sicht eines Autisten loswerden und nun sinniere ich hier völlig abgedriftet über sämtliche Trigger, die mich an Socialmedia stören. Angefangen hat alles, weil ich mich nicht komplett auf diesen Text konzentrierte, sondern nebenbei (mal wieder) einen Shitstorm auf Facebook losgetrieben habe. Das wäre nun wieder ein Thema für einen anderen Artikel, daher möchte ich da nun auch nicht weiter drauf eingehen, sonst steigere ich mich zu sehr hinein und der Tag endet wieder mit schlechter Laune.

Ich versuche, den Faden wieder zu finden..

Ich öffne meine Apps und rege mich auf. Egal ob über User, den Diensten als solche, deren Algorithmen, Inhalte, die User bereitstellen. Ich rege mich oftmals so sehr auf, dass ich diese Wut in meinen Alltag hineinbringe und alles Unmittelbare aus dem Gleichgewicht gerät. Völlig egal, ob einer der oben genannten Trigger ausschlaggebend war oder ob es einfach das Unverständnis ist, das das (womöglich nicht einmal bewusste) Verhalten anderer bei mir provoziert.

Akut sind es wieder einmal diverse Gepflogenheiten auf Instagram und Facebook, die bei mir Unverständnis hervorrufen, die mich dazu bringen, überhaupt einen solchen Text zu schreiben. Was mir als ambitionierter Hobbyfotograf mit hohen Maßstäben an seinen eigenen Output immer wieder auffällt ist, dass oftmals nur die Werke Aufmerksamkeit erhalten, deren Urheber am lautesten schreien – ungeachtet der Qualität der Beiträge. In vielen Fotogruppen oder auf Instagram werden technisch völlig inadäquate Bilder hochgelobt, während wirklich technisch perfekte Aufnahmen untergehen. Ich spreche selten von Perfektion, da ich alles bin, nur nicht perfekt. Allerdings beziehe ich mich nur auf die handwerklichen Aspekte, deren Ausführung man tatsächlich objektiv bewerten kann. Ich würde mir nicht anmaßen, Punkte als perfekt zu bezeichnen, die der subjektiven Wahrnehmung unterliegen.

Allerdings ist mir auch bewusst, dass die Reichweite künstlich durch Algorithmen gesteuert werden und vieles einfach im Äther untergeht. Es herrscht einfach ein Überschuss an Inhalten im Netz. Doch genau dies ist wieder ein Punkt, der mich jedes Mal aufs Neue beschäftigt. Mittlerweile versuche ich dem Algorithmus ein Schnippchen zu schlagen und sorge selbst dafür, dass man mich sieht, in dem ich eifrig kommentiere und einiges an Zeit investiere, um Interaktion mit anderen Usern zu gestalten, um KONTAKTE ZU KNÜPFEN. Doch wofür das ganze? Und jetzt kommt etwas, was ich wirklich schade finde: Für nichts. Es scheint viele User nicht zu interessieren ob man ihnen folgt, ihre Beiträge kommentiert, mit ihnen Interagiert. Man wird einfach ignoriert. Ein Phänomen, das allerdings in der Bubble der Fotografieanhängern häufig vorkommt. Man ist zwar gut darin, Lob zu kassieren, will aber selten selbst aktiv werden und Feedback austeilen oder Beiträge zu liken – es könnten ja mehr likes sein als man selber hat. Folgen? Auch ein heißes Thema. Trotz identischer Themenbubble und ähnlicher Beiträge, scheint man sich einen Zacken aus der Krone zu brechen, wenn man auf “Auch folgen” clickt. Socialmedia besteht mittlerweile scheinbar nur noch aus oberflächlichen Narzissten, Egomanen und Nichtgönnern. Gerade die Bubble der Hobbyfotografen ist voll von solchen Subjekten.

Ich messe hier wahrscheinlich mit falschen Maßstäben, nämlich mit meinen. Wenn mir neue Leute folgen (egal auf welcher Plattform), freue ich mich, sehe mir ihre Profile an, hinterlasse Kommentare und Interaktionen und folge ihnen zurück, wenn ich merke, dass da gegenseitiges Interesse an den Beiträgen besteht. Leider erwarte ich zu häufig, dass Menschen so uneigennützig denken und handeln, wie ich es mache, doch damit grabe ich mir jedes Mal ein neues Fettnäpfchen.

Ich mag nicht über die Gründe dieser Empfindung urteilen, da ich nur vermuten kann, weshalb die Dinge im Bezug auf meine eigene Interneterfahrung (OMG, ich schreibe dieses Wort wirklich!) mittlerweile so völlig anders sind im Vergleich zu früher. Folgend nun drei Thesen:

  • es liegt an mir, da ich mich geändert habe mit einer falschen Erwartungshaltung an die Sache heran gehe und nicht mehr mit den heutigen Standards der Kommunikation mithalten kann. Ich habe zu hohe Ansprüche und Erwartungen, meine eigene Reizschwelle ist mittlerweile gesunken
  • es liegt daran, dass das Internet längst nicht mehr der Treffpunkt der Geeks und Nerds ist, sondern die Normalos die breite Masse stellen. Eben jene, mit denen ich damals schon nicht klar kam.
  • Die Sozialkompetenz ist bei den heutigen Usern einfach noch mangelhafter

Auf diese Thesen möchte ich nun nicht im Detail eingehen. Es handelt sich um Erklärungsversuche, die ich für mich selbst zurechtgelegt habe.

Um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen: Ich will einfach nur Kontakt zu Gleichgesinnten aufbauen, mit denen man offenbar Interessen teilt, um sich auszutauschen und zu fachsimpeln. Mir ist es tatsächlich egal, wieviele Likes oder Follower ich habe, doch es stört mich diese Gleichgültigkeit, diese Ignoranz. Es vermittelt mir das Gefühl, dass ich mittlerweile selbst im Netz zu Unfähig bin, Kontakte zu knüpfen.

Und da beginnt der Teufelskreis: Entmutigt durch oben genannte Situationen betrachte ich Socialmedia mittlerweile voller Verbitterung, habe oftmals gar keine Kraft, mich mit anderen Dingen außer meinen eigenen Posts auseinanderzusetzen. Das bekommen dann die wenigen Leute zu spüren, die tatsächlich mit mir kommunizieren wollen.

Hier komme ich nämlich zu der im Titel erwähnten Ambivalenz. Auf der einen Seite wünsche ich mir Kontakte zu anderen Menschen, möchte Kontakte knüpfen, wie ich es vor 15-20 Jahren im Netz machte, auf der anderen Seite bin ich durch diese vielen Punkte, die ich im Text ansprach, völlig überreizt und kraftlos, um überhaupt Kontakte zu pflegen. Das bekommen alte Freunde von mir gleichermaßen zu spüren, wie langjährige Onlinekontakte, die mir zum Geburtstag gratulierten, die mir ausführliche Nachrichten schreiben, die sich generell oft melden und von mir eiskalt ignoriert werden.

Es tut mir leid, ich wünschte mir, ich könnte die Kraft aufbringen, mich um all diese Kontakte zu kümmern, aber es gelingt mir schon seit Monaten nicht. Immer noch ruhen unbeantwortete Geburstagsglückwünsche von Mitte September im Posteingang. Egal auf welcher Plattform: Ich habe einen massiven Rückstau im Beantworten von Nachrichten und befasse mich stattdessen damit, von Leuten beachtet zu werden, denen es völlig gleichgültig ist.

Das wiederum mag widersprüchlich klingen, zumal ich sehr aktiv bin und nahezu täglich Beiträge verfasse. Das Posten ist für mich immer noch ein Ventil, aber eben eine Einbahnstraße. Sobald es zur tieferen Kommunikation kommt, schalte ich aus.

Mir fehlen langsam die Worte, daher komme ich nun zur Quintessenz meiner Gedanken. Plakativ ausgedrückt: Socialmedia ist autistenfeindlich. Zumindest für jene, die Socialmedia so nutzen, wie ich es mache und tatsächlich den Fokus auf “Social” legen. Ich bin zwar wegen meiner sozialen Defizite stark eingeschränkt und habe allein dafür meinen GdB 60, doch schaffte ich es immerhin früher, im Netz normal unterwegs zu sein, ohne dass es mich nachhaltig belastet. Und das belastet.

Eigentlich bin ich mir im Klaren darüber, dass nur ich das Problem lösen kann. Ich muss “drüber stehen”, dem Thema Socialmedia keine so hohe Priorität einräumen, aber es ist nunmal mehr. Die Inhalte, die ich poste, sind ein Teil von mir und meinen Spezialinteressen. Ich wünsche mir nur etwas Gehör bei Menschen die diese Themen genau so leben, wie ich…

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